Die Lautenspielerin - Roman
jenem furchtbaren Abend hatte sie ein Lautenkonzert von Willaert gespielt, das die Zuhörer begeistert hatte. Die Tochter der Herzogin von Nemours war nicht anwesend gewesen, sonst wären Jeanne die verräterischen Worte vielleicht nicht über die Lippen gekommen. Ganz nebenbei, wobei ihr fast die Gabel aus den Fingern geglitten wäre, hatte sie die Empfehlung für die Weine von Bernard, ihrem verhassten Onkel, fallen lassen.
Sie seufzte und strich über das enge Mieder ihres Tageskleids. Die warme Junisonne schien durch das geöffnete Fenster auf die Wiege ihres Sohnes und hüllte sein kleines Gesicht in goldenen Schimmer. Vorsichtig streckte sie eine Hand nach ihm aus, um die weiche Haut zu liebkosen, und hielt im letzten Moment inne. Die Berührung konnte den schlafenden Jungen wecken, dann würde er die Augen öffnen und sie ansehen. Sie schlug die Hände vors Gesicht und drehte sich um.
»Was ist nur los mit Euch? Was seid Ihr nur für ein Weibsbild,
dass Ihr Euren eigenen Sohn nicht in die Arme nehmt?« Cosmès Erscheinen zerstörte die friedliche Stille des Kinderzimmers.
Wie eine ertappte Sünderin hob Jeanne den Blick und wischte sich die Tränen von den Wangen.
»Tränen! Sicher nicht für unser Kind. Nehmt ihn auf. Jetzt! Ich befehle es!«
Seine laute Stimme weckte das schlafende Kleinkind. Gabriel begann zu schreien und strampelte mit den Beinen. »Nehmt ihn in die Arme, oder ich prügle Euch, dass Ihr betet, nie geboren worden zu sein!«, brüllte Cosmè außer sich. Die Amme kam aus dem Nebenzimmer gelaufen und blieb wie angewurzelt in der Tür stehen.
»Gott, vergib mir!«, schluchzte Jeanne und stand wie gelähmt vor der Wiege, in der Gabriel nun aus Leibeskräften schrie. Sie presste sich die Hände auf die Ohren, doch in ihrem Innern hörte sie die Schreie der Landsknechte, das Röcheln der Sterbenden und sah Franz, der sie quälte. »Nein, nein, lass mich!«, stammelte sie.
Der Kleine lief bereits dunkelrot an, und die Amme nahm Gabriel endlich aus der Wiege, um ihn zu beruhigen. Wütend stürzte sich Cosmè auf Jeanne und schlug wie von Sinnen mit einem Handstock auf sie ein. Gerade gelang es ihr noch, die Arme vors Gesicht zu reißen, dann prasselten die Schläge auf sie nieder wie die Steine einer Lawine. Ohne einen Laut sackte Jeanne in sich zusammen. Als sie auf dem Boden lag, trat ihr Mann mit den Füßen nach ihr und schrie: »Ihr seid gottlos und beschämt mein Haus mit Eurem unnatürlichen Verhalten! Die Dienerschaft redet schon!« Ein letzter Tritt traf ihre Magengrube und nahm ihr den Atem.
Nach Luft ringend krümmte sie sich zusammen. Das enge Mieder tat ein Übriges. Während ihre Augenlider flatterten und sie würgte und hustete, sah sie ihren Vater und Guillemette hereineilen.
»Monsieur, was tut Ihr? Himmlischer Vater, steh uns bei!« Guillemette, der man die fortschreitende Schwangerschaft ansah, ergriff Cosmès Hände und küsste sie besänftigend.
Endres beugte sich zu Jeanne und murmelte: » Mignonne , mein liebes Kind. Bitte, steh auf. Hier, meine Hand.«
Etwas Warmes floss ihr über die Stirn in die Augen. Benommen raffte Jeanne ihre Röcke und griff nach der Hand ihres Vaters, der sie langsam in ihr Zimmer führte, wo sie am ganzen Leib zitternd auf ihr Bett sank.
»Du blutest!« Endres suchte nach einem Tuch, als Coline die Nase zur Tür hereinsteckte.
Die Sulzerstochter war ihr mehr zugetan als Guillemette und lag im ständigen Streit mit der schwangeren Kammerdienerin, die sich standesmäßig über ihr wähnte. »Ich werde einen Medicus holen lassen, Madame. Das sieht böse aus.«
»Ist gut, Coline, und dann komm zurück und bring Wasser und noch mehr Leinen«, sagte Endres und setzte sich zu seiner Tochter auf die Bettkante.
Jeanne schloss die Augen und spürte, wie die Schmerzen langsam übermächtig wurden. Vielleicht war eine Rippe gebrochen.
Sacht tupfte Endres ihr das Blut vom Gesicht. »Was hast du nur getan, ihn so zu reizen? Er war doch bisher immer ein umgänglicher Mann.«
»Ach, Vater, du weißt es, ich habe es in deinen Augen gesehen. Gabriel ist die Frucht der Bestie Franz. Jedes Mal, wenn ich ihn ansehe, kommt alles zurück! Es ist so schrecklich, und ich schäme mich! Cosmè wollte, dass ich Gabriel in den Arm nehme, aber ich konnte es nicht. Ich hasse ihn doch nicht, aber … O Gott im Himmel …«, flüsterte sie und rang nach Luft.
Mit seinen vernarbten Händen strich Endres ihr über die Wange und atmete hörbar ein. »Arme Jeanne,
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