Die Lautenspielerin - Roman
griff nach der kleinen Schatulle, die neben dem Kopfkissen ihres Vaters auf dem Boden stand. Aus edlen Obst- und Nusshölzern gefertigt, passte das Kästchen in ihre geöffneten Handflächen. Es war so exakt geschnitzt, dass es keiner Schließe bedurfte, der Deckel saß nahtlos auf dem Unterboden. Sie drückte es an ihre Lippen.
»Wir hätten sie in französischer Erde bestatten sollen.« Jeanne brauchte nur die Augen zu schließen, um das vertraute Gesicht ihrer Mutter vor sich zu sehen, und sie wünschte sich nichts mehr, als sie noch einmal in die Arme schließen zu können.
»Jeanne, gib mir das Kästchen«, bat ihr Vater leise.
Sie reichte es ihm, dankbar dafür, dass er ihr das Andenken an ihre Mutter bewahrt hatte, indem er ihr verboten hatte, ihm in die Trümmer ihres Elternhauses zu folgen.
»Auf diese Weise ist sie bei uns.«
Die Ehe ihrer Eltern war überaus glücklich gewesen, und Jeanne wusste, dass es keiner Asche bedurfte, um ihren Vater an seine verstorbene Frau zu erinnern.
»Du hast mir immer noch nicht gesagt, wieso du dich mit Ulmann zerstritten hast.« Sie hatte nicht vergessen, was Thomas an jenem Abend zu erzählen begonnen hatte, und da ihr Vater das Thema von selbst nicht anschnitt, musste sie ihn einfach danach fragen.
Endres stellte das Kästchen auf den Tisch und ließ den Kopf in die Hände sinken. »Es ist, wie es ist, Jeanne. Ulmann kann seinem
Vater nicht vergeben, dass er mich ihm vorgezogen hat und es immer noch tut.«
»Und?«, bohrte Jeanne weiter.
Endres starrte auf die dünn gesägten Holzleisten, von denen ein feiner Duft ausging. An den Maserungen war zu erkennen, dass Ahorn, Esche, Kirsche und Birne darunter waren und nicht zuletzt Eibe, eines der kostbarsten und begehrtesten Hölzer für den Bau von Lauten. »Was hier lagert, ist Gold wert. Thomas wollte mir alles geben, seine Werkstatt, sein Holz, die Aufträge, alles.«
Jeanne sog scharf die Luft ein. Das war allerdings ein Grund für Ulmann, den Findling zu hassen. »Du hast es ausgeschlagen?«
»Anfangs nicht. Das Schicksal hatte mir einen Vater geschenkt, warum sollte ich nicht annehmen, was er mir geben wollte? Ich hätte es verdient. Meine Instrumente singen - bei jeder Saite, die gezupft wird, klingen Tonreihen von größter Klarheit mit. Ulmann wird das niemals erreichen, und das Bizarre ist, er kann nicht verstehen, warum, weil er den Unterschied einfach nicht hört!«
Jeanne freute sich im Stillen über das Leuchten in den Augen ihres Vaters, wenn er über seine Instrumente oder die Musik sprach. Die Kerze flackerte, und draußen heulte ein Hund. Im Haus wurde es still. Jeanne zog fröstelnd den Umhang enger um sich. Ihr Vater stand auf, setzte sich neben sie auf den Strohsack und zog sie an sich. »Besser?«
Sie nickte und legte ihren Kopf an seine Schulter. »Wie hat Ulmann es aufgenommen, als er hörte, dass du alles erben sollst?«
»Gewütet hat er, als hätte die Hölle sich aufgetan! Und natürlich haben Dietmar und Walter sich ebenfalls gegen mich gewandt.«
Dietmar und Walter waren Ulmanns jüngere Brüder und lebten in Randeck. Es war zu erwarten, dass sie früher oder später hier auftauchten, doch sie sehnte den Besuch der streitbaren Froehnerbrüder nicht herbei.
»Bevor sie mich totprügeln konnten, bin ich gegangen.«
Jeanne spürte, dass das nicht alles war. Irgendetwas verheimlichte ihr Vater, doch sein letzter Satz hatte so abschließend geklungen, dass weiteres Nachfragen zwecklos gewesen wäre.
»Was hast du gerade geschrieben?«
»Einen Brief an Conrad Nothmann, eine Art dritter Kapellmeister am Dresdner Hof. Vor Jahren war er in Frankreich und hat eine siebenchörige Laute von mir gekauft. Ich setze keine allzu großen Hoffnungen auf meine Bittschrift, doch was bleibt uns als Hoffnung?«
»Wir könnten zurückgehen, Vater. Mutters Familie wird uns helfen!«, flehte sie, auch wenn sie die Antwort schon kannte.
»Nein! Ihre Familie trägt die Hauptschuld an ihrem Tod. Sie haben sich eingemischt in diesen wahnwitzigen Krieg der Religionen, der Glaubensbrüder! Der Name de Bergier steht auf der schwarzen Liste der Guisen, weil dein Onkel sich an diesem verfluchten Attentat auf François de Guise beteiligt hat. Zum Teufel mit ihm!«
Sie drückte sich an ihn und spürte, wie sein Herz raste. Julian de Bergier, der jüngere Bruder ihrer seligen Mutter, war ein hitzköpfiger Fanatiker und pflegte eine Fehde mit den mächtigen Guisen, deren Einfluss von Tag zu Tag wuchs. Hinter
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