Die Lautenspielerin - Roman
geladen worden war, in welchem sich der Kurfürst und seine Gemahlin und die Herrschaften ersten Ranges aufhielten. Selbst Cosmè hatte dort keinen Zutritt und ihr bewundernd hinterhergesehen, wie sie durch die hohen Türen in den von Lüstern und unzähligen Kerzen erhellten Saal getreten war.
Es hatte eine kleine Maskerade gegeben, und während sie noch über die Scherze der Schauspieler lachte, hatte man sie höflich, aber bestimmt nach draußen gebeten, wo sie von zwei bewaffneten Gardisten auf den Gang hinausgeführt worden war. Dort
hatte man sie einem Mann in Reitkleidung vorgeführt, der mit dem Kopf genickt hatte, und seitdem saß sie hier im Verlies und wartete voller Bangen auf ihre Anklage. Ein Gerichtsdiener hatte ihr zumindest den Grund ihrer Inhaftierung verraten - Hexerei. Die Denunzierung stamme aus Helwigsdorff, hatte der Beamte hinzugefügt, und dann war Jeanne alles klar geworden. Der Reitknecht im Schloss war einer von jenen gewesen, die in Helwigsdorff nach dem Wundarzt gesucht hatten, und denunziert hatte sie natürlich Afra.
Mutlos betrachtete sie ihre schmalen Finger, die unter der Folter brechen und für das Lautenspiel unbrauchbar werden würden. Und das wäre ganz in Afras Sinne, die sich an ihr rächen wollte dafür, dass ihr unseliger Sohn aus Familie und Gemeinde verstoßen und zum Verbrecher geworden war. Durstig leckte sie sich die trockenen Lippen. Das Wasser in dem schmierigen Krug roch faulig, und sie hatte Angst, krank zu werden, wenn sie es trank. Am ersten Abend hatte sie nur einen Schluck getrunken, die ganze Nacht erbrochen und sich in den Eimer entleert, der in einer Ecke der Zelle stand und seitdem nicht gereinigt worden war.
»Gesegnet seist du, o Herr, in der Stunde der Not erflehe ich deine Hilfe!«, betete sie und horchte immer wieder zur Tür, hinter der sie in Abständen die Schreie der Gefolterten und bereits dem Wahnsinn Verfallenen vernehmen konnte. Sie presste sich die Hände auf die Ohren und murmelte Gebete oder sang leise Lieder aus ihrer Heimat.
Einmal schlug ein Aufseher gegen ihre Tür und brüllte: »Hör auf mit dem Gewinsel! Willst uns alle verhexen mit deinem Gesang! Wir können es dir auch anders austreiben …« Den Drohungen folgten Gelächter und derbe Anspielungen der anderen Wächter.
Bei ihrer Einlieferung hatten sie Jeanne ihren warmen Umhang fortgenommen, so dass sie fröstelnd in dem feuchten Verlies hockte. Hungrig nahm sie den halb verschimmelten Brotkanten
auf und nagte daran. Der vierte Tag neigte sich seinem Ende zu, sie hörte die Glocken der Sophienkirche zur sechsten Stunde läuten. Als auf dem Gang Stiefelschritte und das Rasseln eines Schlüsselbunds erklangen, stand sie auf und ging zur Tür. Mit aller Kraft hämmerte sie dagegen und schrie: »Heda! Ich will meinen Vater sprechen! Ich bin keine Hexe! Das ist eine Lüge!«
Die Schritte machten tatsächlich vor ihrem Verlies Halt, und sie trat erschrocken zurück. Als die schwere Tür mit einem ohrenbetäubenden Quietschen aufschwang, traute sie ihren Augen nicht. Hinter dem Gefängniswärter standen nicht nur zwei vornehm gekleidete Damen, sondern auch der Leibarzt des Kurfürsten, ihr Vater und Cosmè Paullet.
Die hohe Figur des Arztes überragte alle anderen, und er musste sich bücken, als er durch die Tür trat. Angewidert verzog er das Gesicht. »Welch pestilenzartiger Gestank! War es denn notwendig, diese unbescholtene junge Frau so zu erniedrigen? Das wird ein Nachspiel für dich haben, für dich und den Gerichtsdiener, der hier war!«
Der Wärter verbeugte sich mehrfach und stammelte: »Aber Euer Gnaden, ich habe nichts Unrechtes getan! Wir haben sie nicht angerührt!«
Die Damen hielten sich Tücher vor Mund und Nase und stießen spitze Schreie des Entsetzens aus. Cosmès Miene war ausdruckslos, ihr Vater drängte sich an dem Leibarzt vorbei und schloss seine Tochter in die Arme.
»Das wäre euch auch schlecht bekommen, ihr dreckiges Gesindel!«, rügte der Arzt.
Doch der Wärter erwiderte frech: »Hexen haben keine Rechte! Wenn eine deswegen hier ist, kommt sie kaum wieder frei. Die werden gefoltert, dann gestehen sie sowieso ihre teuflischen Hurereien und bösen Zauber, mit denen sie die Frommen belegt haben. Und wen interessiert es dann noch, ob wir unseren Spaß mit ihnen hatten.« Der Mann bleckte die fauligen Zähne.
Jeanne verbarg ihr Gesicht am rauen Wams ihres Vaters und zitterte, während er ihr beruhigend über den Rücken strich. »Es ist ja gut,
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