Die Lautenspielerin - Roman
Männer, vor allem vor den Fremden. Doch ihre Religion ist ein anderes Thema. Ein Empfehlungsschreiben Mehmed Paschas ermöglichte mir den Zugang zum Hof des Sultans. Allein über den Topkapi-Palast könnte ich dir zahllose Geschichten erzählen! Stell dir vor, der Sultan nimmt nicht an allen Versammlungen seines Rates teil, belauscht aber die Wesire durch ein
kleines, vergittertes Fenster in der Rückwand des Tagungsraums. Zwei Großwesire hat er hinrichten lassen. Potentielle Feinde werden sofort ausgelöscht, auch wenn es sich um minderjährige Söhne oder sonstige männliche Verwandte handelt. Das hängt unter anderem mit den vielen Frauen zusammen, die zum Harem gehören und durch ihre Söhne Macht ausüben wollen. Doch das führt nun zu weit.
Als ich Jerg und Hinrik das erste Mal in ihrem Verlies besuchte, blieb mir das Herz stehen, so abgemagert und bar jeder Hoffnung wirkten die Gefangenen. Es waren nicht allein die Entbehrungen, der Mangel an Nahrung oder Wasser oder der Schmutz, in dem die Schergen des Sultans sie vegetieren ließen. Wie ich erfuhr, hatten die Osmanen große Freude daran, ihre Gefangenen zu demütigen und sie derart zu foltern und zu quälen, dass ihnen der Tod als Verheißung erschien. Gerwin, die Abgründe der menschlichen Seele sind so tief, dass ich sie nicht ausloten möchte. Hinrik hat eine kräftigere Konstitution als Jerg und erholte sich schneller. Bei Jerg dauerte es Monate, bis er mir das erste Mal wieder in die Augen sehen konnte, so hatten sie ihn gebrochen. Das Fieber ist eine typische Erkrankung der Region. Den ersten Anfall hatte er bereits im Gefängnis. Es folgten rasch aufeinander heftige Anfälle, bis eine längere Pause eintrat. Seitdem kamen die Anfälle in unregelmäßigen Abständen. Selten öfter als einmal im Jahr. Und jetzt häufen sie sich.«
»Seraphin kümmert sich gut um ihn«, suchte Gerwin seinen besorgten Freund zu beruhigen.
»Ich wäre nicht aufgebrochen, hätte Jerg nicht einen treuen Gefährten wie Seraphin. Amicus certus in re incerta cernitur . 15 «
Hippolyt verfiel in Schweigen, und Gerwin hatte vieles, worüber er nachdenken musste. Die Pferde trotteten mit hängenden Köpfen durch den Nieselregen und die grünbraune Landschaft,
deren ärmliche Gehöfte deutlich vor Augen führten, dass der Glanz der Residenzstadt nicht bis in jeden Winkel des Kurfürstentums reichte.
Trotz der sich überschlagenden Ereignisse und Neuigkeiten gab es ein Gesicht, das sich immer wieder in Gerwins Gedanken schlich. Es ist noch nicht aller Tage Abend, dachte er und schwor sich, dass Jeanne bei ihrer nächsten Begegnung nur für ihn spielen würde. Dum spiro, spero 16 , würde Hippolyt vielleicht sagen, und ein Lächeln huschte über Gerwins Gesicht.
15
Die Pferdehufe klapperten auf dem Pflaster der breiten Straße, die sie vom Großen Garten in die Innenstadt führte. Sie kamen an der Sophienkirche vorüber und am Packhaus, als Jeanne plötzlich aus ihrer düsteren Stimmung aufschreckte und zum Wagenfenster hinausschaute. »Können wir noch einmal anhalten, bitte?«
»Wozu? Je schneller wir aus der Stadt sind, desto mehr Strecke schaffen wir heute auf der Landstraße.« Cosmè machte aus seiner Ungeduld keinen Hehl.
»Ich glaube, ich habe meinen Umhang im Wirtshaus vergessen.«
Ihr Vater warf ihr einen fragenden Blick zu, denn er wusste, dass sie nur noch den einen zerschlissenen Umhang besaß. Unwillkürlich hatte Jeanne an Gerwin denken müssen, der sie im Wirtshaus besuchen wollte. Möglicherweise hatte er ja eine Nachricht für sie hinterlegt.
»Ich kaufe Euch einen neuen. Eure Garderobe muss ohnehin ersetzt werden. In den abgetragenen Lumpen könnt Ihr nicht als
meine Gattin repräsentieren, geschweige denn bei Hof auftreten.« Der Kaufmann musterte abschätzig ihr Kleid, dessen Säume ausgefranst waren.
Der braunrote Stoff war stellenweise verfärbt, und die Stickereien der Bordüre mussten dringend ausgebessert werden. Doch Jeanne liebte dieses Reisekleid, denn ihre Mutter hatte die Stickereien angefertigt, und sie würde sich unter keinen Umständen davon trennen. »Es tut mir leid, wenn ich für Euren Geschmack nicht ansprechend genug aussehe.«
»Seid nicht albern. Ich spreche nur von Eurem Kleid. Bevor wir die Saale überqueren, machen wir Halt und kaufen ein Hochzeitsgewand für Euch, doch jetzt müssen wir die Stadt verlassen. Diese Lutheraner hier meinen, sie wären weniger streng als wir Hugenotten, und verteufeln Calvin als übereifrigen,
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