Die Lazarus-Formel
um dir zu glauben , muss ich dir vertrauen . Und das will ich auch. Aber ich kann es nicht, wenn ich merke, dass du mir nicht vertraust. Weil das nämlich heißen könnte, dass du zwar dein Versprechen erfüllt hast, indem du mich hierhergeführt hast, aber du gleichzeitig willst, dass ich sterbe, damit ich dein Geheimnis nicht verraten kann.«
Margaret zog die Augenbrauen zusammen und stemmte die Fäuste in die schmalen Hüften. »Dir ist doch wohl klar, dass ich jetzt sagen könnte: ›Ist mir egal, ob du mir vertraust. Dann iss eben nicht von den Früchten und werde nicht unsterblich!‹«
»Ja«, sagte Eve, »das ist mir klar. Und dann wüsste ich, dass es dir nicht ernst war, als du mir versprochen hast, mir das Geschenk der Unsterblichkeit zu machen zum Dank dafür, dass dir mein Vorfahre das Leben gerettet hat, wodurch du selbst erst die Quelle des ewigen Lebens entdeckt hast, und zum Dank dafür, dass Ben dich aus den Katakomben befreit hat, in die er sich nur begeben hat, um mich zu retten. Ich wüsste also, dass du gelogen hast und dass es klug war, nicht von den Früchten zu essen.«
»Eve, du machst mir kein schlechtes Gewissen, wenn du mein Geschenk nicht annimmst. Aber du machst mir einen gewaltigen Knoten in meinen kleinen Kopf, wenn du hier weiter herumphilosophierst statt zu handeln. Vertrau mir doch einfach!«
»Vertrau du mir doch einfach«, entgegnete Eve stur. »Verrate mir ohne Umschweife, warum du die Früchte gegessen hast, obwohl du wusstest, dass sie giftig sind, und auf gar keinen Fall wissen konntest, dass sie dich unsterblich machen!«
»Du weißt es!«
»Sag es mir!«
»Zur Hölle mit dir, Eve Sinclair!«, fluchte Margaret, drehte sich schnell von Eve weg und legte ihre Arme schützend um sich selbst. Doch selbst von hinten konnte Eve sehen, dass sie schluchzte. Nur mit Mühe widerstand sie dem Drang, zu der kleinen Königin zu gehen und sie zu trösten. Das hier war wichtig. Für Margaret möglicherweise noch sehr viel wichtiger als für sie selbst, wie Eve gerade begriff.
Eve wartete.
Es verging fast eine Minute des Schweigens.
Dann aber sagte Margaret so leise, dass Eve sie kaum hören konnte: »Ich wollte damals sterben.«
Ja, Eve hatte es geahnt. Aber es war kein Triumph, den sie empfand, sondern tiefes Mitgefühl.
»Du weißt doch«, fuhr Margaret fort, »ich wurde im Exil in Ungarn geboren.«
»Ich erinnere mich.«
»Aber du kannst es dir nicht vorstellen. Jeder sprach immer und überall von meiner noblen Abstammung, vom von den Göttern gegebenen Anspruch meiner Familie auf den englischen Thron. Aber in Wahrheit und im Alltag waren meine Eltern, meine Geschwister und ich so fern von der Heimat nichts weiter als Almosenempfänger. Wir lebten ausschließlich durch und von der Gnade anderer, die sich einen möglichen politischen Vorteil sichern wollten, indem sie uns am Leben erhielten. Wir waren abhängiger als Vieh, abhängig vom Wohlwollen der anderen – und auch von deren Launen. Wir mussten jeden einzelnen Tag damit rechnen, dass sich die politische Lage änderte und uns keiner mehr brauchen würde, dass man sich unser durch Ermordung entledigen würde, um sich bei unseren Gegnern einzukaufen.
Doch dann kam der Tag, an dem mein Vater nach England zurückgerufen wurde, um tatsächlich die Thronfolge zu übernehmen. Ein glorreicher Tag. Endlich würden wir ein Zuhause finden, dass wir unser eigen nennen konnten, auch wenn ich das Land, in das wir reisten, nie zuvor betreten hatte. Mein Vater selbst war schon als Kind von dort verbannt worden.«
Margaret hielt inne. Eve fühlte, dass sie sich sammelte, und wartete schweigend.
»Mein Vater überlebte unsere Ankunft in England gerade mal zwei Tage. Dann wurde er heimtückisch und brutal ermordet.«
Sie schniefte. Für Eve mochten diese Ereignisse fast eintausend Jahre zurückliegen und einer historischen Vergangenheit angehören, aber für Margaret waren es die Erinnerungen an den gewaltsamen Tod ihres Vaters kurz vor der Erfüllung seines jahrzehntelang verzweifelt herbeigesehnten Traums.
»Also hat man meinen Bruder Edgar zum Thronfolger erklärt und zum König von England ernannt«, fuhr Margaret fort. »Gott, Eve, er war gerade mal fünfzehn. Und noch ehe er überhaupt erst gekrönt werden konnte, stand William schon mit seinen Normannen an der Themse. Oh, du hättest miterleben sollen, wie sie damals die Seiten gewechselt haben, all die Ritter und Barone, die meiner Familie bei ihrem Blut ewige Treue
Weitere Kostenlose Bücher