Die Lazarus-Formel
Borghese.
Bischof Gardens Leiche lag in einem prachtvollen Sarg aufgebahrt vor dem Altar der Hauskapelle. Dahinter auf der Kanzel stand Wall. Im vollen Bischofsornat – Talar mit violetter Mozetta, Mitra, Stab und Ring. Als Pektorale trug er auf der Brust statt eines Kreuzes das Symbol des Ordens: den Baum hinter zwei gekreuzten flammenden Schwertern.
»Er hat sein Leben dem Orden und dem Lobpreis des heiligsten aller Gesetze Gottes gewidmet«, schloss er seine Ansprache. Seine Stimme war verfärbt von der gebrochenen Nase und der Schiene darüber. »Behalten wir ihn in Erinnerung als einen der fähigsten Hirten, der je über Gottes Herde gewacht hat.«
Er senkte salbungsvoll das Haupt, und die etwa dreißig anwesenden Ordensbrüder taten es ihm gleich.
Nach einem stillen Gebet und einer Schweigeminute erhoben sie sich von ihren Bänken. Ein jeder von ihnen ging nach vorn zu dem Sarg, verneigte sich vor der Leiche und küsste danach Bischof Walls Ring an der dargebotenen Hand.
Nach weiteren zehn Minuten war er allein mit seinem toten Vorgänger. Er stellte sich an den Sarg. »Du warst nie ein großer Kämpfer, alter Mann. Requiem perpetuam dona ei, Domine. Et lux aeterna luceat ei. Requiescat in pace. Amen.«
Ewige Ruhe schenke ihm, Herr. Und das ewige Licht leuchte ihm. Lasse ihn ruhen in Frieden. Amen.
Er schloss den Deckel des Sarges – und erschrak.
Dahinter stand der Mann, der ihm die Hand geraubt hatte – und er hielt eine Pistole mit Schalldämpfer auf ihn gerichtet.
»Keinen Mucks«, sagte er. »Ich bin nicht hier, um Sie zu töten. Hören Sie einfach nur zu.«
Bischof Walls Hirn suchte nach einer Möglichkeit, Alarm zu schlagen. Vergeblich. Also nickte er.
»Eve Sinclair und Margaret haben vor einigen Stunden über die Rezeption des Hotels Eden einen Wagen von Avis gemietet, einen Audi S5. Es dürfte Ihnen mit Ihren Mitteln nicht schwerfallen, sie über GPS zu orten.«
Bischof Wall runzelte argwöhnisch die Stirn. »Sie befreien sie aus den Katakomben, und jetzt verraten Sie sie?«
Der Fremde zuckte mit den breiten Schultern. »Es hat sich herausgestellt, dass sie es nicht wert ist, dass ich sie beschütze. Und auch das ewige Leben hat sie nicht verdient. Sie muss aufgehalten werden.«
»Und das soll ich Ihnen glauben?«
»Das ist Ihre Sache«, sagte der Fremde. »Sie ist mit Margaret zusammen auf dem Weg zu dem Baum. Wenn Sie sie dort erwischen, können Sie Ihren Brüdern erzählen, dass es von Anfang an Ihr Plan war, die beiden entkommen zu lassen, um nach hundertsechzig Jahren vergeblicher Folter endlich den Standort den Baums zu finden und ihn zu vernichten.«
Er zog sich zum Seitenausgang zurück.
»Das ändert nichts«, sagte Bischof Wall und hob den Armstumpf. Für die Zeremonie hatte er ein waffenloses Futteral darübergestülpt. »Ich werde auch Sie finden. Und dann werden Sie hierfür bezahlen.«
Der Fremde schüttelte den Kopf. »Ich bin raus aus der Sache.«
Dann war er verschwunden.
Bischof Wall schlug sofort Alarm, aber als die Wachtrupps das Gelände durchsuchten, fanden sie keine Spur mehr von Eve Sinclairs ehemaligem Beschützer.
Mit Eve Sinclair selbst hatte er mehr Glück. Der Nachrichtendienst brauchte keine Viertelstunde, sich in das System von Avis zu hacken, das entsprechende Auto und dessen GPS -Code zu finden und es über Satellitenortung bei der Rocca Salimbeni in Siena auszumachen.
Sofort wurden die Brüder in Siena alarmiert. Der gesuchte Wagen wurde vor der Zentrale der Banca Monte dei Paschi gefunden, und durch einen Abgleich mit der Datenbank, die der Orden über die Aesirianer führte, stießen sie auf Rinaldo. Als sie dann dessen jüngste Aktivitäten durchleuchteten, entdeckten sie die Anmeldung eines Flugs von dessen Privatjet vom Flughafen Siena-Amugnano nach Edinburgh.
Margarets Heimat!
Bischof Wall ließ den Jet des Ordens startklar machen. Er würde noch vor Doktor Sinclair und Margaret in Edinburgh sein. Sie dann, nach ihrer Ankunft, vom Flughafen aus zu verfolgen, war reine Routine.
Sie würden ihn direkt zu dem Baum führen.
81
Die Höhle unter St. Margaret’s Chapel.
Eve erkannte die Stimme sofort und wirbelte herum. Auch Margaret hatte augenblicklich reagiert und ihr Schwert unter dem Mantel hervorgezogen.
Am Eingang zu der Halle stand Diakon Wall.
Nicht jetzt! Nicht jetzt! Nicht jetzt! , dachte Eve und fluchte innerlich darüber, dass sie sich so lange mit Reden aufgehalten hatte, anstatt Margaret einfach verstandesgemäß genauso
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