Die Lazarus-Formel
dann?«
»Dein Ende!«
Ben ließ das Schwert fallen, beugte sich zu Set herab, packte den Brustpanzer am oberen und unteren Rand, wuchtete den schweren Körper nach oben – und schleuderte ihn weit in die hoch lodernden Flammen.
92
Trotz der gellenden Todesschreie Sets und des lauten Fauchens der Flammen hörte Ben, wie jemand seinen Namen rief. Er drehte sich von der Brücke weg und sah Margaret. Das Schwert in ihrer Hand und die Ärmel ihres Nachthemdes waren blutgetränkt. In ihrem Blick las er hilflose Trauer.
»Eve?«, fragte er alarmiert.
Sie nickte und machte mit dem Kopf eine Geste, ihm schnell nach unten zu folgen. Er rannte ihr hinterher, die in Richtung Heck führende Treppe hinab.
Etwa fünfzehn Meter weiter hinten sah er Eve, ganz dicht bei der Bordwand liegend. Sie wimmerte und hielt sich den Bauch.
Als sie die rennenden Schritte hörte, reckte sie den Kopf weit in den Nacken, um sehen zu können, wer da kam. Trotz ihres verschwommenen Blicks erkannte sie Ben, und ein erleichtertes Lächeln glättete ihre vor Schmerz verzerrten Züge.
Er kniete sich neben sie, nahm sie in den Arm und bettete ihren Kopf auf seinem Schoß.
»Du lebst«, sagte sie stockend, und mit einem Blick zu Margaret: »Danke.«
Margaret schüttelte den Kopf. »Als ich kam, war schon alles vorbei.«
Die Zähne zusammenbeißend hob Eve den Arm und legte die Hand sanft an Bens Wange. »Mein Held.«
Es war so tief empfunden, wie es kitschig klang, sonst hätte sie über sich selbst gelacht. Stattdessen rollte ihr eine Träne über die Wange.
»Schhh«, machte Ben.
Eve schüttelte schwach den Kopf. »Nicht wieder den Mund verbieten … Bitte, nicht jetzt …«
»Das war nicht meine Absicht, Eve.« Ben lächelte traurig. »Ich wollte nur …«
Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Bring mich ins Labor … der Tank …«
Er blickte sie fragend an.
»Es gibt noch eine winzige Chance«, flüsterte sie schwach. »Das Experiment …«
Seine Brauen zogen sich zusammen. Dann senkte er den Blick.
»Du meinst, es könnte funktionieren?«, fragte er, ohne sie dabei anzusehen.
»Ich bin mir fast sicher.«
Er zögerte.
»Worauf wartest du?«, fragte Eve. »Bring mich zu dem Tank.«
»Nein.«
»Ben!«
»Eve, du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist, unsterblich zu sein«, sagte er leise. »Es ist grausam. Es ist ein Fluch. Eine ewige Reise, von einem Verlust zum nächsten.«
»Was?« Eve verstand nicht, was er ihr sagen wollte. Aber sie fühlte, wie die Lebenskraft mehr und mehr aus ihr herausströmte. »Ben. Was redest du da? Du hast mich die ganze Zeit über beschützt … damit ich das Geheimnis der Unsterblichkeit entschlüssle … oder etwa nicht?«
»Ja«, antwortete er. »Aber nicht, um es anzuwenden.«
Sie verstand immer weniger.
»Du bedeutest mir inzwischen einfach zu viel, Eve, als dass ich zulassen kann, dass du dir das antust.«
»Wovon redest du?«
»Du hast keine Vorstellung davon, was es heißt, lange genug zu existieren, um herauszufinden, dass das Leben keinen Sinn macht. Wie es ist, wenn ganze Jahrhunderte, ja, jahrtausendelang ein Tag so leer ist wie der nächste. Wenn du alles erreicht hast und dich nichts mehr antreibt. Keine Neugier mehr, keine Träume, keine Sehnsüchte. Wenn du dabei zusehen musst, wie alles um dich herum zu Staub und Asche zerfällt.«
Eve wurde wütend. »Ich verstehe nicht, was hier geschieht, Ben. Aber im Moment will ich es auch nicht verstehen oder darüber nachgrübeln, welche Motive du hast oder auch nicht hast. Oder welche Rolle ich in deinem Spiel spiele und …«
»Ich spiele kein Spiel, Eve«, unterbrach er sie. »Ich habe auf dich gewartet. Auf jemanden wie dich. Ewigkeiten. Damit ich …«
»Ich, ich, ich!«, fuhr sie dazwischen. »Es geht jetzt aber nicht um dich, Ben. Es geht um mich. Ich sterbe gerade. Und ich will nicht sterben. Ich will leben. Keine Ahnung, ob für immer. Aber auf jeden Fall jetzt. Bring mich zu dem Tank. Bitte.«
Noch einen Lidschlag lang zögerte er. Dann schob er die Arme unter ihren Körper und richtete sich auf.
93
Margaret huschte geschwind an Ben vorbei, um ihm und Eve die Tür zum Labor zu öffnen. Ben achtete behutsam darauf, dass Eve nirgends anstieß, als er sie hindurchtrug. Ihr Körper hatte inzwischen immer weniger eigene Spannung. Die Arme und der Kopf hingen schlaff nach unten, und ihre Augen waren geschlossen.
»Was jetzt?«, fragte er sie.
»Der Tank«, sagte sie leise und unter großer Anstrengung. »Bring
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