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Die Lazarus-Formel

Die Lazarus-Formel

Titel: Die Lazarus-Formel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Pala
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dem Beifahrersitz ihres Wagens und blickte direkt in die vor ihr im Osten aufgehende Sonne. Es hatte aufgehört zu regnen. Die Straße, die sie entlangfuhren, war trocken. Die Silhouette der Landschaft verriet ihr auf einen Blick, wo sie waren: Glastonbury Tor, einer der berühmtesten Orte Englands, in der Einmaligkeit des Aussehens nur noch übertroffen von der Tower Bridge und dem Steinkreis von Stonehenge. Aus der weiten Ebene vor ihr, den Summerland Meadows , erhob sich ein einziger, kegelförmiger Hügel, auf dessen Kuppel eine eckige Turmruine in den Morgenhimmel ragte, wie ein Wachposten aus längst vergessener Zeit: St. Michael’s Tower.
    Der Überlieferung nach nannten die Briten der Vorzeit diesen Hügel Ynys yr Afalon , die »Insel von Avalon«. Insel , weil die Ebene um den Hügel herum noch zu Beginn der frühen Eisenzeit vollständig mit Wasser bedeckt war. Viele neuzeitliche, aber auch einige alte Mythen siedelten an diesen Ort das Avalon der Artus-Legende an und auch eines der möglichen Verstecke des Heiligen Grals.
    »Der Kaffee ist frisch«, sagte Ben vom Fahrersitz her und deutete auf zwei Becher im Halter des Cockpits.
    Eve rieb sich den Nacken. Sie fühlte sich ungewohnt ausgeruht, so als hätte sie zehn Stunden am Stück geschlafen, obwohl Glastonbury Tor gerade einmal zweieinhalb Autostunden von Oxford entfernt lag. Das entsprach auch so in etwa dem Stand der gerade aufgehenden Sonne. »Was haben Sie mit mir gemacht?«
    »Wir hatten es eilig, Eve«, stellte er nüchtern fest. »Und Sie wollten partout nicht aufhören, Fragen zu stellen.«
    Eve schnaubte. Das ist ja wohl die Höhe!
    »Und da schicken Sie mich mit irgendeinem Akupressur-Trick einfach so schlafen?«, ereiferte sie sich.
    »Ja.«
    »Was, zur Hölle, erlauben Sie sich?« Die Selbstverständlichkeit, mit der er Ja gesagt hatte, stachelte ihre Verärgerung noch weiter an. »Hören Sie, nach all dem, was mir in den vergangenen Stunden widerfahren ist, habe ich nachvollziehbarerweise jede Menge Fragen, auf die ich Antworten haben will. Sie können mich nicht so einfach …«
    »Ich bin nicht Ihr Auskunftsbüro, Eve«, unterbrach er sie kühl. »Trinken Sie Ihren Kaffee.«
    »Ich pfeif auf Ihren Kaffee, Mann.« Aus der Verärgerung war Wut geworden. »Ich verlange Erklärungen.«
    Ben bremste und hielt an. Dann beugte er sich zu Eves Seite und griff zwischen ihren Knien hindurch in den Rucksack, der zwischen ihren Füßen stand. Als er sich wieder aufrichtete, hatte er Melchior Feldmanns Notizbuch in der Hand. Ehe Eve reagieren konnte, öffnete er die Tür und stieg aus.
    »Was haben Sie vor?«, fragte Eve.
    Statt zu antworten, ging er davon.
    »Hey!« Sie kletterte aus dem Wagen und lief ihm nach. »Ich habe Sie gefragt, was Sie vorhaben.«
    Er antwortete noch immer nicht und ging weiter in Richtung des Hügels. Eve beschleunigte ihre Schritte, um ihn einzuholen. »Sie können mich doch jetzt nicht allein lassen.«
    »Sie erleben gerade, dass ich es kann«, stellte er fest, ohne sich zu ihr umzudrehen.
    Ohne ihr Zutun kehrten die Bilder der vergangenen Nacht zu ihr zurück. Professor Melchior Feldmann, den Schädel von einem altertümlichen Armbrustbolzen durchbohrt. Der Turm und das brennende Treppenhaus. Die Kuttenmänner mit ihren Schwertern. Anne – in Eves eigenem Haus auf bestialische Weise massakriert. Die maskierten Männer mit dem Kaliumchlorid. »Sie haben gesagt, Sie wollen mich beschützen.«
    »Ja, das habe ich«, antwortete er. »Aber ich habe auch gesagt, Sie sollen aufhören, so viele Fragen zu stellen.«
    »Und Sie sagten, Sie bräuchten meine Hilfe«, erinnerte sie ihn.
    »Nicht so sehr wie Sie meine.« Er hielt das Notizbuch in die Höhe. »Ich bin mir sicher, früher oder später komme ich auch ohne Sie hinter das Geheimnis.«
    Er blieb einfach nicht stehen. Eve fluchte in sich hinein. Sie hatte keine Wahl, als ihm weiter hinterherzulaufen. »Verdammt! Was soll das hier werden? Ein kindisches Machtspielchen? Was wollen Sie beweisen, indem Sie mich einfach so zurücklassen?«
    Daraufhin hielt er doch an, drehte sich um und sah sie ruhig an. »Das, Doktor Sinclair, wissen Sie, seit Sie aus dem Wagen gesprungen sind, um mir nachzulaufen.«
    Sie ärgerte sich, als sie merkte, dass ihre Augen feucht geworden waren. »Ich will leben, Ben. Ist das so schwer zu verstehen?«
    »Ich habe das von Anfang an verstanden«, sagte er. »Und jetzt verstehen auch Sie es.«
    Sie stand mit offenem Mund vor ihm und kämpfte mit Mühe

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