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Die Lazarus-Formel

Die Lazarus-Formel

Titel: Die Lazarus-Formel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Pala
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drückte Ben die große Steinplatte wieder zurück. Der Mechanismus musste Jahrhunderte alt sein, und doch funktionierte er einigermaßen leichtgängig und verhältnismäßig leise. Auch hier war die Luft seltsam frisch. Der Gang, in dem sie standen, war direkt aus dem rostfarbenen Sandsteinfels geschlagen und führte in einer steilen Rechtskurve leicht abwärts.
    Zu Eves Überraschung hingen kleine elektrische Lampen an der Decke. Ben schaltete sie ein, und das bedrückende Gefühl, das sie eben noch verspürt hatte, verschwand. Er verstaute die Taschenlampe und ging voran.
    Für mehrere Minuten folgten sie dem Stollen immer weiter in die Tiefe. Schließlich erreichten sie wieder eine Wand aus scheinbar massivem Stein. Aber auch hier gab es einen geheimen Mechanismus, den Ben mit seinem breiten Kreuz verdeckte, während er ihn betätigte, und der wenige Momente später einen neuen Durchlass freigab.
    Eves verschlug es vor Erstaunen den Atem, als sie auf der anderen Seite anlangte.
    Plötzlich wusste sie, woher die alten Sagen von den Sid stammen mussten, jenen unterirdischen Elbenpalästen aus der Folklore und den Mythen ihrer Heimat. Denn sie stand gerade selbst auf der Schwelle eines dieser Sid .
    Der Raum vor ihr war eine gewaltige Halle, etwa zwanzig mal dreißig Meter groß und fast fünf Meter hoch. Und er war außerordentlich wohnlich eingerichtet, ja, fast so luxuriös, wie ein wirklicher Palast. Weite, geraffte Vorhänge aus Seide zierten die Wände, der Boden war mit dicken Perserteppichen ausgelegt, Kristallleuchter hingen von der Decke, und überall standen antike Möbel. Insgesamt erinnerte die Einrichtung an eine Filmkulisse aus den Hollywood-Sandalenfilmen der Fünfzigerjahre des letzten Jahrhunderts.
    »Das ist ein Witz, oder?«, fragte Eve mit einer Rundumgeste. »Das träume ich nur.«
    »Das sagt ausgerechnet die Frau mit dem Zauberschlösschen«, antwortete Ben mit nach oben gezogener Augenbraue, dann deutete er einladend auf eine lange Tafel.
    Die Verwunderung über die seltsame Umgebung wich neuer Skepsis. »Sie kennen meine Wohnung?«, fragte sie. Woher konnte er wissen, wie ihr Haus eingerichtet war?
    »Ich habe Ihre Assistentin nicht getötet«, sagte er ernst. Er wusste also, weshalb sie die Frage gestellt hatte.
    »Und wieso soll ich Ihnen das glauben?«
    »Weil ich Ihnen mein Wort darauf gebe.«
    »Das genügt mir nicht.«
    »Das muss Ihnen genügen.« Seine Miene verdüsterte sich. »Sie fangen schon wieder an.«
    »Woher wissen Sie, dass sie tot ist?«
    »Nachdem Sie vom Kloster geflohen sind, bin ich zuerst zu Ihrem Haus gefahren, und als ich Sie dort nicht mehr angetroffen habe, bin ich weiter zur Universität.«
    »Aber …«
    »Keine Abers mehr, Eve«, unterbrach er sie. »Wir haben viel zu tun. Und wenn ich richtig liege, nicht sehr viel Zeit dafür.«
    Impulsiv, wie sie war, wollte sie dennoch etwas erwidern. Doch sein warnender Blick hielt sie davon ab. Sie wusste, dass es unfair war, ihn zu verdächtigen. Immerhin hatte er ihr schon zweimal das Leben gerettet. Aber mit welch tödlicher Effizienz er das getan hatte, jagte ihr noch immer kalte Schauer über den Rücken.
    »Nehmen Sie Platz«, sagte er. »Ich hole uns etwas zu Essen. Sie haben bestimmt Hunger.«
    Erst, als er es sagte, merkte Eve, wie hungrig sie war. Das Letzte, das sie zu sich genommen hatte, war das chinesische Essen mit Anne, Stunden, ehe sie zu Feldmann in das Kloster aufgebrochen war. Sie setzte sich und sah, wie Ben in einem durch Paravents abgetrennten Bereich verschwand.
    Noch immer kam ihr die Umgebung der unterirdischen Halle unwirklich vor. Sie stellte den Rucksack auf den Tisch und holte Feldmanns Notizbuch hervor.
    Es war etwa dreißig Zentimeter groß und daumendick. Der Einband bestand aus festem, mit dünnem, schwarzem Schweinsleder bezogenen Karton und war stark abgegriffen. Eve konnte förmlich spüren, dass darin ein ganzes Menschenleben steckte, in Melchior Feldmanns außergewöhnlichem Fall sogar ein ausgesprochen langes.
    Sie blätterte es einmal mit dem Daumen durch und sah dabei jede Menge Zeichnungen und Skizzen. Die Schrift, in der die Texte verfasst waren, war fast winzig und extrem akkurat. Sie kannte das von ihrem Großvater, zu dessen Zeiten Papier knapp und kostbar gewesen war. Damals skribbelte man noch nicht, sondern machte peinlich genaue Notizen. Das Meiste war in Deutsch niedergeschrieben, einiges in Englisch und Französisch, aber auch in asiatischen Schriftzeichen.
    Ben kam

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