Die Lazarus-Formel
die Tränen nieder, nicht ganz sicher, ob es Trotztränen waren, Tränen der Wut oder Tränen der Verzweiflung und der Angst vor einem grausamen Tod. »Aber … ich muss doch wissen, was hier geschieht und wer dahintersteckt.«
»Was Sie wirklich müssen, ist, anfangen, mir zu vertrauen oder wenigstens das zu tun, was ich Ihnen sage, wenn ich es Ihnen sage. Ihr Leben hängt davon ab.«
Eve atmete tief durch. »Was wollen Sie, das ich tue?«
Er akzeptierte ihr Einlenken mit einem knappen Nicken. »Was Sie tun sollen? Das ist einfach: Hören Sie auf zu schnattern und so viele Fragen zu stellen.«
Sie öffnete den Mund, um zu protestieren. So hatte noch nie jemand mit ihr geredet.
Er unterbrach sie, ehe sie überhaupt ein Wort hervorbringen konnte, mit einer knappen Geste, begleitet von einem ganz leicht freundlicher werdenden Blick. »Ich verspreche Ihnen, Sie erhalten sämtliche Informationen über die Hintergründe dessen, was hier vor sich geht, ganz ohne dass Sie so viele Fragen stellen, mit denen Sie mich daran hindern, mit klarem Kopf über die nächsten Schritte nachzudenken.«
Auf einmal verstand Eve, warum er so unwirsch war. Es ging ihm gar nicht darum, sie im Dunkeln zu lassen. Er konnte sich einfach nur nicht auf das Wesentliche konzentrieren, wenn sie ihn andauernd mit Fragen bombardierte, was sie, wenn sie ehrlich war, von der ersten Sekunde an getan hatte. Als sie darüber nachsann, wie oft sie ihre Assistentinnen und Assistenten gebeten hatte, sie nicht mit so vielen Fragen beim Nachdenken zu stören, musste sie fast schmunzeln.
»Ich soll Ihnen also einfach vertrauen?«
Ben legte den Kopf schief. »War das eine Frage?«
20
Zehn schweigsame Minuten später lenkte Ben den Audi von der Straße und den zum Westen hin sanft ansteigenden Grashügel von Glastonbury Tor hinauf. Oben angekommen fuhr er hinein in den gotischen Torbogen der Ruine, hielt an und schaltete den Motor ab. Er verließ den Wagen und forderte Eve mit einer Geste auf, ihm zu folgen.
Sie stieg aus und schaute sich um. Der auch im Innern quadratische St. Michael’s Tower hatte kein Dach, und sie konnte sehen, wie vereinzelte Wolken über sie hinwegzogen. Was für eine Art von Versteck soll das sein ?
Ben ging in eine der Ecken des Turms und bückte sich. Eve konnte nicht sehen, was er tat, aber plötzlich glitt eine der großen Bodenplatten aus Granit mit leisem Knirschen zur Seite und gab den Blick frei auf ein großes Loch im Boden. Wenn sie es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, sie hätte es niemals geglaubt.
Eine Geheimtür in einem der meistbesuchten und auch am gründlichsten untersuchten Nationalheiligtümer Englands? Das war gespenstisch. Eve zögerte.
»Keine Angst«, sagte Ben. »Hier sind wir sicher. Wenigstens für eine Weile.«
In der Öffnung im Boden sah sie eine alte, ausgetretene Sandsteintreppe. Ben holte eine kleine Taschenlampe hervor, schaltete sie ein und ging nach unten. Mit einem flauen Gefühl im Magen folgte sie ihm. Es war, als würde sie in ein Grab hinabsteigen, auch wenn die Luft, ganz anders als sie erwartet hatte, nicht die Spur modrig roch.
Die Treppe war gerade mal einen Meter breit und steil, die Decke bedrückend niedrig. Dreizehn ungewohnt hohe Stufen führten zu einem Absatz, auf dem Ben haltmachte und einen Hebel betätigte, der die Steinplatte über ihnen wieder auf ihren Platz gleiten ließ. Dann ging es eine zweite, wesentlich längere Treppe weiter hinab in die Tiefe. Sie mündete in einem kleinen Raum.
»Ein unentdeckter Geheimgang. Hier?«
»Er ist durchaus nicht unentdeckt«, sagte Ben. »Die meisten Archäologen, die sich mit Glastonbury Tor beschäftigen, und auch viele der Einheimischen kennen ihn. Allerdings nur bis hierher.«
Er ging zur gegenüberliegenden Wand. Wieder konnte Eve nicht sehen, was genau er tat, und sie begriff, dass das seine Absicht war, aber diesmal war sie nicht mehr ganz so überrascht, als er kurz darauf einen ganzen, türgroßen Teil der Sandsteinwand nach innen drückte, die bis eben noch massiv ausgesehen hatte. Ein etwa drei Fuß breiter Spalt tat sich auf, und er schlüpfte hindurch. »Kommen Sie.«
Eve kam der Gedanken, dass, wenn ihr hier unten etwas zustoßen sollte, sie niemand jemals finden würde. Sie atmete tief durch und zwängte sich durch den Spalt mit einem beklemmenden Gefühl, als würde sie in eine Unterwasserhöhle tauchen, von der sie nicht wusste, wie weit deren Ende entfernt war.
Kaum war sie auf der anderen Seite,
Weitere Kostenlose Bücher