Die Lazarus-Formel
Eve Sinclair vor ihnen gerettet hatte.
»Das kann nicht sein«, flüsterte sein Herr tonlos. »Er kann unmöglich leben.«
»Wer ist er, Mylord?«, wagte Kabir zu fragen.
Doch statt zu antworten, schrie sein Herr plötzlich wütend auf, holte mit einer katzenhaft schnellen Bewegung aus und zertrümmerte eine dicht neben Kabir stehende antike Statue des ägyptischen Gottes Set mit einem einzigen Hieb seines Säbels.
»Finde ihn, Kabir!«, bellte er, während der Steinstaub noch in der Luft hing. »Nimm dir dazu jeden Mann, den du brauchst. Der Nachrichtendienst steht zu deiner vollen Verfügung. Auch unsere Leute beim MI 5 und dem SIS .«
Kabir verneigte sich und eilte davon.
»Kabir!«, stoppte ihn die Stimme seines Herrn.
Er drehte sich um. »Mylord?«
»Wenn du ihn gefunden hast, dann schlage aus sicherer Entfernung zu. Lass dich und deine Leute nicht wieder in einen Nahkampf verwickeln. Er ist zu gefährlich. Also, schwere Bewaffnung, Kabir. Richtig schwere. Keine Gnade, verstehst du? Nicht eine Sekunde.«
22
Glastonbury Tor.
St. Michael’s Tower.
Nachdem Ben vom »Entsorgen« des Audi zurückgekehrt war, widmeten sich Eve und er dem Notizbuch von Melchior Feldmann. Sie fanden darin zahlreiche Referenzen und offenbar von Feldmann selbst angefertigte Zeichnungen zum Thema »Baum des Lebens«. Wie die Bilder in seiner Klosterklause . Eve war sehr überrascht, aus den Unterlagen zu erfahren, dass der Baum, den sie bisher nur aus der Bibel kannte, bei weitem nicht nur in der christlichen und hebräischen Mythenwelt eine Rolle spielte.
Feldmanns Beschäftigung mit dem Thema war akribisch gewesen. Er hatte, untermauert von Quellverweisen, festgehalten, dass schon zweitausend Jahre vor Niederschrift des Alten Testaments die ägyptische Mythologie davon erzählte, wie Isis und Osiris ihre Unsterblichkeit vom Baum der Weltenmutter Iusaaet erlangten.
Das noch ältere Gilgamesch-Epos berichtete von den Taten des gleichnamigen Helden, der von Ur im alten Sumer auszog, um nach der Pflanze der Unsterblichkeit zu suchen, und wie sie ihm, gerade als er sie gefunden hatte, von einer Feuerschlange geraubt wurde.
Im assyrischen Urartu wurde der Baum des Lebens streng bewacht von geflügelten Wächtern.
Fünfhundert Jahre vor Christi Geburt erfuhr Prinz Siddhartha Gautama in Indien durch den Baum des Lebens seine Gottwerdung zum Buddha.
Laut der nordischen Mythologie verband die Welteneibe Yggdrasil das Reich der Toten und das der Lebenden mit dem der Unsterblichen. Durch diesen Baum, unter dessen Wurzeln die Midgardschlange und in dessen Wipfel ein Adler hauste, erlangte Odin seine Allwissenheit, so wie Adam und Eva die Erkenntnis vom Baum des Wissens.
Feldmanns Aufzeichnungen zufolge hatte es im alten China schon vor fast viertausend Jahren die Legende vom Baum des Lebens gegeben, in dessen Krone ein Phönix und in dessen Wurzeln ein Drache lebte.
Auch die Maya, Azteken, Tolteken und Olmeken Mittel- und Südamerikas hatten ihren Baum des Lebens, der ihnen von Quetzalcoatl, der »Gefiederten Schlange«, dem Gott des Wissens, gebracht worden war.
Zwischen all diesen Notizen hatte Feldmann immer wieder den Stab des Äskulap gezeichnet: ein Ast, um den sich mal eine, mal zwei Schlangen wanden. Es war das bis in die heutige Zeit international bekannte Symbol für Medizin. Als Äskulap, der griechische Gott der Heilkunst, mit seiner Kraft selbst einen Toten wieder zum Leben erweckte, befürchtete Zeus, dass er noch mehr Menschen unsterblich machen könnte und diese dann so mächtig wurden wie die Götter, weshalb er Äskulap mit einem Blitz erschlug.
All das hatte Feldmann, den Eintragsdaten nach, im Laufe mehrerer Jahrzehnte recherchiert und in seinen umfangreichen Notizen festgehalten.
»Es ist erstaunlich, wie sehr diese Mythologien einander ähneln«, wunderte sich Eve.
»Sie haben ein und denselben Ursprung«, stellte Ben ungerührt in den Raum. »Aber es gibt keinen Verweis auf den Verbleib des Steins.« Er klang frustriert.
»Und auch nicht einen einzigen wissenschaftlichen Hinweis auf das ewige Leben, die ewige Jugend«, fügte Eve nicht minder enttäuscht hinzu. Melchior Feldmanns extreme Beschäftigung mit der Archäologie und der Mythologie vom Baum des Lebens und auch seine erstaunliche Jugend bestätigten zwar Eves ursprüngliche Vermutung, das Geheimnis der Unsterblichkeit müsste etwas mit dem ungewöhnlichen Metabolismus der Eibe zu tun haben, aber ohne konkrete wissenschaftliche Anhaltspunkte war
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