Die Lazarus-Formel
vergessen«, sagte Kabir. »Niemals zuvor hatte ich jemanden gesehen, der sich so schnell bewegte wie Ihr. Die gesamte Menschheitsgeschichte kennt keinen, der so gut mit dem Schwert umzugehen vermochte wie Ihr.«
»O doch, den gab es«, sagte sein Herr, und sein Blick schweifte in eine imaginäre Ferne. »Aber das ist schon lange her. Noch ehe wir einander trafen.«
»Wen meint Ihr, Herr?«
»Das spielt jetzt keine Rolle«, wehrte der andere ab. »Du wolltest mir erzählen, wieso du mir so treu ergeben bist.«
»Zwei Stunden habt Ihr unter der glühenden Sonne mit mir gespielt wie eine Katze mit der Maus …«
»Mein Volk sah zu. Ich musste beweisen, dass ich kein Feigling bin, wie du behauptet hattest. Und dass du ein Nichts warst, dass deine Meinung ohne Gewicht war.«
»Das habt Ihr«, sagte Kabir leise. »Obwohl ich alles gab, was ich zu geben fähig war, habt Ihr mir ohne jede Mühe eine Verwundung und Demütigung nach der anderen zugefügt.«
»Aber du hast nicht aufgegeben. Das, zusammen mit deinem Ruf als General, war es, was mich schließlich dazu bewog, dich unsterblich und zu meiner rechten Hand zu machen.«
»Doch zuerst habt Ihr mich fast getötet. Hieb um Hieb und Stich um Stich. Und mit jedem Blutstropfen, den ich verlor, merkte ich, wie unendlich groß meine Angst vor dem Tod ist. Vor allem aber vor dem Jenseits. Und der Rache der Toten.«
»Angst vor der Rache der Toten?«
»Ja«, gestand Kabir. »Für all das Böse, das ich auf meinen zahlreichen Feldzügen für Nebukadnezar getan habe. Tausende, ja, Zehntausende unsterblicher Seelen warten dort drüben auf mich, um mich für meine Untaten zu richten.«
Kabirs Herr lachte auf. »Du warst und bist so mutig, weil du Angst hast? Angst vor der Rache deiner Opfer?«
Kabir wurde tatsächlich rot, und er senkte beschämt den Blick. »Und so loyal, weil Ihr es wart, der mich durch das Geschenk des ewigen Lebens bis zum heutigen Tage davor bewahrt.«
Sein Herr reichte ihm die Hand. »Steh auf, Kabir, mein Sohn, und fürchte dich nicht. Das Jenseits und all die Seelen, die nach Rache an dir dürsten, werden noch eine Weile auf dich warten müssen, denn noch hast du nicht versagt. Aber du wirst versagen, wenn du dich nicht von deiner Angst löst und wieder anfängst, wie ein General zu denken.«
Kabir stand auf, erleichtert.
»Er ist also wie vom Erdboden verschluckt?«
»Weder unser Nachrichtendienst noch die Quellen bei MI 5 und SIS können ihn ausfindig machen«, bestätigte Kabir. »Dass wir seine Identität nicht kennen, macht es nicht gerade einfacher.«
»Was schließt du daraus?«
»Er hat vermutlich das Land verlassen. Wir müssen unsere Suche international ausweiten, aber dazu brauchen wir die Hilfe des Ältestenrats, den einzuberufen ich nicht die Befugnis habe.«
»Schon geschehen.« Sein Herr nickte und griff nach einer Fernbedienung auf dem Tisch neben ihm. Auf einen Knopfdruck hin flammten sieben Flatscreens an der Wand auf, und jeder zeigte daraufhin eines der sieben Mitglieder des Ältestenrats: eine Japanerin, einen Südamerikaner, eine Schwarzafrikanerin, einen Araber, zwei Kaukasier – einer davon weiblich und nordisch aussehend – und einen Chinesen. Keiner von ihnen schien älter als dreißig, aber alle wirkten sie sehr besorgt.
»Brüder, Schwestern«, sagte Kabirs Herr und deutete eine Verneigung an, die sie mit einer tiefen Verbeugung erwiderten. »Ich danke euch, dass ihr meiner Einladung gefolgt seid. Der, den wir, wie ihr alle inzwischen wisst, suchen, befindet sich zu meinem großen Bedauern noch immer auf freiem Fuß. Wir vermuten, dass er sich ins Ausland abgesetzt hat. Wohin, wissen wir nicht. Wir werden daher die Ressourcen all unserer Nachrichtendienste bündeln. Kabir wird die Suche leiten. Ich rechne mit eurer vollen Unterstützung.«
Sie alle nickten.
»Was ist mit Doktor Sinclair?«, fragte die Schwarzafrikanerin.
»Sie muss nach wie vor ausgeschaltet werden«, antwortete er. »Sie weiß jetzt schon zu viel. Aber unser Hauptfokus liegt auf ihm. Wenn wir ihn nicht umgehend finden und eliminieren, ist die Wissenschaftlerin unsere kleinste Sorge.«
»Und Ihr habt keine Ahnung, wie er wieder auftauchen konnte?«, fragte der Chinese mit für Kabirs Begriffe einem Hauch zu wenig Ehrerbietung in der Stimme.
Kabirs Herr schüttelte langsam den Kopf. »Nicht die leiseste, Huang-Di. Es gibt keine Erklärung dafür. Auch nicht dafür, warum er die Forscherin beschützt. Wir haben keine Ahnung, was er von
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