Die Lazarus-Formel
zwischen regieren und herrschen, Eve. Stellen Sie sich vor, Sie hätten schon im alten Ägypten gelebt und die Welt, wie sie heute existiert, mitgeformt. Sie kennen den Planeten, seine Ressourcen, die Menschheit und ihre Gesellschaftsformen wie Ihre eigene Westentasche. Die Erde ist Ihr Spielplatz, Sie besitzen sie. Das meine ich mit herrschen. Das Regieren, also das profane Verwalten Ihres Besitzes, überlassen Sie anderen. Für die Aesirianer sind Könige und Präsidenten gerade mal mittleres Management. Und um diese Macht, diese unglaubliche Freiheit für ihren kleinen Kreis zu sichern, müssen sie das Geheimnis der Unsterblichkeit bewahren. Sie können nicht zulassen, dass jemand wie Sie es entdeckt.«
»Und die Hüter?«
»Die handeln aus religiöser Überzeugung heraus.«
»Wohl eher aus Fanatismus.«
»Könnte man sagen«, stimmte Ben ihr zu. »Auf jeden Fall hat für beide die Wahrung des Geheimnisses oberste Priorität. Deshalb sind oder haben sie ihre Leute überall. Der beste Beweis dafür ist das, was Ihnen zurzeit widerfährt, Eve. Sie haben zwar gerade erst damit begonnen, nach dem ewigen Leben zu suchen, davor aber haben sich Ihre Forschungen auch schon mit dem Thema Lebensverlängerung beschäftigt – und mit dem Metabolismus der Eibe. Für beide Gruppen Grund genug, Sie genauestens im Auge zu behalten, Sie zu überwachen und genau darauf zu achten, dass Sie die Grenze nicht überschreiten.«
»Christian«, sagte Eve.
»Ja, Professor Berg arbeitete für die Aesirianer«, bestätigte Ben. »Und Anne für die Hüter.«
»Anne?«, fragte sie ungläubig.
Ben nickte. »Sie war die Einzige, die wusste, dass Sie auf dem Weg zu Feldmann waren und wo er sich versteckt hielt.«
»Aber wenn die Aesirianer und die Hüter so mächtig sind und so weit vernetzt, wie konnte dann der Sephirot überhaupt erst entstehen und gar in Umlauf gelangen?«
»Das ist der traurige Teil der Legende von Osiris, dem Wohltäter«, sagte Ben. »Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Auserwählten, denen Osiris das Geschenk der Unsterblichkeit machte, immer mächtiger. Statt zu lehren, erhoben sie sich als Könige und Götter über die Völker, die sie eigentlich fördern sollten. Und je mächtiger sie wurden, umso habgieriger wurden sie. Sie erkannten, dass ihre Macht auf ihrer Einzigartigkeit beruhte, auf ihrem langen Leben, ihrem Wissen. Und darauf, dass es nur so wenige von ihnen gab.«
»Deshalb mussten sie Osiris daran hindern, sein Geheimnis noch weiter zu verbreiten«, vermutete Eve.
»Ja«, sagte Ben. »Angeführt von einem der Mächtigsten unter ihnen, einem Ägypter namens Set, verschworen sie sich gegen ihn, um ihn zu vernichten. Set rief zu einer weltweiten Jagd nach Osiris auf. Osiris floh und schuf auf seinem Weg um die ganze Erde Hinweise auf sein Geheimnis und zahlreiche Wegweiser zu seiner Entschlüsselung – die Steine –, ehe er schließlich von Set und den anderen gefangen, erschlagen und zerstückelt wurde. Die meisten der Steine haben die Aesirianer oder die Hüter des Baumes inzwischen gefunden und zerstört. Vielleicht ist der, den wir haben, der letzte. Auf jeden Fall ist es der einzige, von dessen Existenz ich weiß.«
Damit wusste Eve, wer hinter ihr her war und woher der Sephirot in ihrer Handtasche stammte. Aber eine der wichtigsten Fragen hatte Ben ihr noch nicht beantwortet.
»Wer sind Sie, Ben?«
Er war in ihren Augen viel zu jung, um all das, worüber er sie seit ihrer ersten Begegnung so detailliert informiert hatte, wissen zu können. Dann dieses seltsame Versteck unter Glastonbury Tor. Und schließlich – woher wusste er von ihr, woher hatte er gewusst, dass sie seinen Schutz brauchen würde?
Professor Berg hatte für die Aesirianer gearbeitet und Anne für die Hüter. Aber für wen arbeitete Ben? Es musste noch eine dritte Organisation geben, die diese gewaltige Menge an Wissen im Laufe von Jahrhunderten zusammengetragen hatte. Oder …
Der Gedanke an die Alternative jagte ihr einen Schauer über den Rücken.
Weil er nicht antwortete, fragte sie noch einmal. »Wer sind Sie?«
»Auch das werde ich Ihnen zu gegebener Zeit sagen, Eve.«
»Ich will es jetzt wissen.«
»Sie geben nie auf, oder?«
»Beantworten Sie meine Frage, Ben.«
»Nicht jetzt.«
Eve nahm wie nebenbei das Plastikmesser ihres Essbestecks und tat so, als wolle sie die letzten Reisreste aus der Schale vor ihr kratzen. Stattdessen machte sie eine schnelle Bewegung und schnitt Ben über den Handrücken.
Er
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