Die Lazarus-Formel
Aber die Eibe hat einen Weg gefunden, die Substanzen abzusondern, die verantwortlich sind für das Blockieren der Zellteilung.«
»Das Taxan Paclitaxel«, sagte Anne, »das wir benutzen, um die Teilung von Krebszellen zu stoppen.«
»Korrekt«, bestätigte Eve. »Indem sie diesen Blocker fortwährend ausscheidet, versetzt die Eibe sich selbst in die Lage, für immer zu wachsen, weil sie ungehindert ständig neue, gesunde Zellen produziert, die die sterbenden ersetzen.«
»So einfach«, sagte Anne. »Warum hat das noch niemand vor uns entdeckt?«
»Das überprüfen wir natürlich als Erstes«, sagte Eve, während ihre Finger schon über die Computertastatur rasten. »Benutz die Schlüsselwörter ›Eibe‹, ›Taxan‹, ›Paclitaxel‹, ›Mitose‹, ›Unsterblichkeit‹, ›Forschung‹, ›Veröffentlichung‹.«
Auch Anne begann zu tippen.
Sie kicherten vergnügt wie zwei Mädchen auf ihrer ersten Klassenfahrt, während sie beide gleichzeitig, ohne aufzusehen, in die zwischen ihnen stehende Box mit den kleinen Kuchen griffen.
»Das ist so aufregend«, sagte Anne.
»Ist es immer«, stimmte Eve ihr zu.
Sie konnte nicht wissen, dass das, womit sie gerade begonnen hatte, ihr gesamtes Leben auf den Kopf stellen würde.
4
Zwei Stunden später war der Kuchen aufgegessen, und die inzwischen leeren Kaffeebecher waren durch zwei Dosen Coca-Cola ersetzt worden.
Eve und Anne hatten bei ihrer Recherche etwas Beunruhigendes herausgefunden. Vor elf Jahren, in der Ausgabe vom 23. Mai, hatte eine Dr. Tamara Henderson aus Tucson, Arizona, in der Science Daily einen Artikel veröffentlicht, der die Unsterblichkeit der Eibe und deren mögliche Übertragbarkeit auf den menschlichen Metabolismus zum Inhalt hatte. In dem Artikel hatte sie angekündigt, kurz vor dem Durchbruch ihrer Forschung zu stehen. Am nächsten Tag, dem 24. Mai, war ihr Labor bei einem Brand vollständig zerstört worden. Sie selbst war in den Flammen umgekommen.
Zwei Jahre darauf hatte der Schweizer Mediziner Professor Emil Kürner aus Genf einen ähnlichen Artikel veröffentlicht, in der August-Doppelausgabe der Swiss Medical Weekly . Die Zeitschrift war noch keine zwei Tage im Umlauf gewesen, da war auch sein Labor in der Universität Genf bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Die verkohlte Leiche Professor Kürners konnte nur noch mithilfe eines Gebissabdrucks identifiziert werden.
Weitere vier Stunden später standen sechs leere Dosen Coke neben Eve und Anne auf den Schreibtischen, und sie hatten noch mehr Erschreckendes entdeckt. Doktor Tamara Henderson und Professor Emil Kürner waren nicht die Einzigen, die das Geheimnis der Unsterblichkeit hatten lüften wollen und kurz nach Publikwerden ihrer Forschungen ums Leben gekommen waren. Außer ihnen hatten in den Jahren 1999, 1982, 1973, 1968 und 1957 fünf weitere Wissenschaftler zu dem Thema veröffentlicht: Dr. Olaf Classen aus Kopenhagen in der Illustreret Videnskab , Professor Hoshimoto Takenaga aus Tokio in der Nikkei Science , Professor Ivana Perikova aus Moskau in der Nauka i Zhizn , Dr. Indu Sothilingham aus Bombay bei der Indian Academy of Sciences und Professor Simon Baschner aus Freiburg in der Pour la Science . Und alle, ohne Ausnahme, waren unmittelbar nach ihren Veröffentlichungen bei Bränden in ihren Laboratorien umgekommen.
»Das ist mehr als seltsam«, sagte Anne mit leiser Stimme. Sie war noch blasser als sonst.
»Ja, das ist es«, gab Eve zu.
»Vielleicht sollten wir aufhören.«
»Womit?«
»Mit der Recherche.«
Eve sah auf. Überrascht. »Warum?«
»Weil ich nicht daran glaube, dass das ein Zufall ist«, sagte Anne.
»Es ist schrecklich«, stimmte Eve zu. »Aber was lässt dich glauben, dass es kein Zufall ist?«
»Das liegt doch auf der Hand!« Anne klang regelrecht empört. »Siehst du denn nicht, dass all diese Fälle zusammenhängen?«
»Hooh-Hooh«, machte Eve, als würde sie ein Pferd zügeln. »Natürlich sieht das zunächst so aus. Aber das Internet ist voll von Geschichten und Ereignissen, die, wenn man sie nur richtig zusammenfügt, Grundlagen für die wildesten und spektakulärsten Verschwörungstheorien abgeben.«
»Hier sind Menschen ermordet worden, Doktor Sinclair.« Anne schaute sie an, als käme sie von einem anderen Stern. Eve hatte registriert, dass sie sie wieder »Doktor Sinclair« nannte, ganz so, als wolle sie sich von ihr distanzieren.
»Das können wir nicht wissen, Anne.«
»Wir haben es schwarz auf weiß. Alle Wissenschaftler, die an
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