Die Lazarus-Formel
der Übertragung der Unsterblichkeit der Eibe auf den Menschen gearbeitet haben, sind bei einem Laborbrand ums Leben gekommen. Einen Tag oder wenige Tage, nachdem sie ihre Theorie publiziert haben.«
»Du ziehst voreilige Schlüsse.« Eve sah, wie aufgeregt Anne war, und wollte sie beruhigen. »Denk doch mal wissenschaftlich, nicht wie ein Verschwörungs-Freak. Erstens: Wir wissen noch gar nicht, ob das wirklich alle Wissenschaftler waren, die in diese Richtung geforscht haben. Wir haben mit unserer Recherche ja gerade erst begonnen. Zweitens: Haben wir eine Ahnung, wie viele Wissenschaftler sonst bei Laborbränden umkommen? Ein Labor ist kein Kinderspielplatz. Es ist voller hochexplosiver und leicht entflammbarer Stoffe. Allein in meinem Bekanntenkreis sind zwei Menschen bei solchen Bränden gestorben, und keiner von ihnen hat auch nur entfernt an der Mitose der Eibe oder überhaupt an der Eibe gearbeitet. Drittens: Es gab nie irgendwelche Anzeichen von Brandstiftung. Gibt es jemanden in der Kriminalgeschichte, der so viele Verbrechen begangen hat, ohne je auch nur eine einzige Spur zu hinterlassen? Und damit kommen wir zum vierten und wichtigsten Punkt, Anne. Dem Punkt, den du völlig zu ignorieren scheinst.«
»Welchen?«
»Die Todesfälle haben sich über einen Zeitraum von gut fünfzig Jahren erstreckt. Wer käme da bitte schön als Täter oder Auftraggeber in Frage?«
5
Als draußen bereits die Sonne unterging, standen neben den Coke-Dosen und der Kuchenbox zwei leere Take-away-Schachteln vom örtlichen Chinesen. Eve und Anne hatten bei ihrer Recherche im Internet noch drei weitere Wissenschaftler gefunden, die über Eibe und Unsterblichkeit publiziert hatten: Professor Ezard Strauss aus Tel Aviv, Dr. Hugh Cawley aus Boston und Professor Melchior Feldmann aus München. Strauss hatte 1963 veröffentlicht, Cawley 1951 und Feldmann sogar bereits 1949.
Sehr zu Annes Entsetzen waren auch Strauss und Cawley wenige Tage nach der Veröffentlichung ihrer Theorie bei Laborbränden ums Leben gekommen, und Eve musste zugeben, dass sie das inzwischen auch beunruhigend fand. Aber sie verbannte das Gefühl sofort. Melchior Feldmann war eines natürlichen Todes gestorben. Erst vor zwanzig Jahren. An Altersschwäche. Bemerkenswert war allerdings, dass er seine These schon eine Woche, nachdem er sie aufgestellt hatte, öffentlich widerrufen und als unhaltbar verworfen hatte. Danach hatte er Deutschland verlassen, war nach England übergesiedelt und hatte sich aus der Forschung und auch aus der Öffentlichkeit komplett zurückgezogen. Ein Zeitungsartikel der Hamburger Morgenpost , in ihrer ersten Ausgabe vom 16. September 1949, zeigte ein Bild von ihm, etwa Anfang dreißig, wie er das Schiff nach England bestieg.
Eve hatte ihn erst in einer Ausgabe des Daily Mirror von vor zwanzig Jahren wiedergefunden – in einer Todesanzeige und einem Nachruf, zu dem auch ein kurzes Interview mit seinem Sohn Arthur Feldmann gehörte. Auf die frühere Forschung seines Vaters angesprochen hatte der geantwortet, dass die Geister der bedauernswerten und irrigen Annahme, der Menschheit ewiges Leben schenken zu können, nie aufgehört hätten, ihn und seine Familie zu verfolgen, weshalb er selbst sich, sogar noch nach dem Tod seines Vaters, in ein Kloster zurückziehen würde, um dort seinen Lebensabend zu verbringen. Auch der Name des Klosters war erwähnt: die Anglican Benedictine Abbey of Shrawley .
»Das ist nicht weit von hier«, sagte Eve, nachdem sie bei Google Maps nachgeschaut hatte. »Bei Worcester. Wir könnten in anderthalb bis zwei Stunden dort sein.«
»Sie wollen doch nicht etwa dort hinfahren?«, fragte Anne ungläubig.
»Aber selbstverständlich will ich das«, antwortete Eve. »Vielleicht hat er noch Unterlagen von der Arbeit seines Vaters.«
»Der hat seine These vor über sechzig Jahren widerrufen.«
»Das heißt nicht, dass er keine brauchbaren Ansätze hatte, die uns weiterhelfen könnten. Vielleicht hat er ja sogar weitergeforscht.«
»Er hat sich aus der Forschung zurückgezogen.«
»Kein Forscher hört jemals wirklich auf zu forschen, Anne. Ich möchte wetten, er hat an dem Thema weitergearbeitet.«
»Dann aber nicht erfolgreich, Doktor Sinclair. Er ist an Altersschwäche gestorben.«
»Was nur bedeutet, dass er seine Arbeit nicht zu Ende führen konnte. Aber wer weiß, was er bis dahin alles entdeckt hat. Auch seine Fehlschläge können für uns von Nutzen sein. Sogar von großem.«
Eine halbe Stunde
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