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Die Lazarus-Formel

Die Lazarus-Formel

Titel: Die Lazarus-Formel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Pala
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Gänsehaut über den Rücken jagte. Sie fühlte sich auf äußerst unangenehme Art an Gollum aus den Herr-der-Ringe- Verfilmungen erinnert.
    »Dreh-dich-um-dreh-dich-um-dreh-dich-um. Komm-schon-komm-schon-komm-schon.«
    Eves Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Sie wunderte sich, dass sie überhaupt noch lebte, und fragte sich, wo sie war. Vor allem aber wollte sie im Augenblick wissen, wer da hinter ihr sprach. So dicht. Sie riss sich zusammen und wandte langsam den Kopf.
    Gerade mal einen knappen Meter von ihr entfernt kauerte etwas auf dem Boden, auf der anderen Seite des Gitters. Klein, dürr, mit langen verfilzten Haaren, die einmal blond gewesen sein mochten und bis zu den schmutzigen Füßen reichten, deren Nägel so lang und gebogen waren wie die eines Tiers.
    »Endlich-endlich-endlich«, hechelte es hinter dem Vorhang aus Haaren hervor, durch den hindurch Eve weit aufgerissene, strahlend blaue Augen in einem ausgehungerten, dreckigen Gesicht erkennen konnte. »Wurde auch Zeit-Zeit-Zeit. Mich trickst du nicht aus. Nein-nein-nein. Mich nicht. Ihr versucht es immer wieder. Lernt es nie. Nie-nie-nie. Du kannst gleich wieder gehen.«
    Es war eine junge Frau, fast noch ein Mädchen. Eve schätzte sie auf vierzehn oder fünfzehn. Sie saß in der Hocke wie ein Äffchen, die Fußsohlen auf dem Boden, das schmale Gesäß direkt an die Fersen gepresst. Sie trug nur einen zerschlissenen Leinensack. In den schmalen Fingern hielt sie einen aufgebissenen und leer gelutschten Hühnerknochen. Der war es wohl, mit dem sie Eve durch das Gitter hindurch in die Wange gepiekt und geweckt hatte. Eve drehte sich der Magen um.
    Ich kann gleich wieder gehen ?, dachte sie ungläubig und richtete sich unter Schmerzen auf. Sie griff nach dem Tape und riss es sich vom Mund. Nur mit Mühe unterdrückte sie einen Schrei. Das Klebeband war offenbar länger auf ihren Lippen gewesen als sie angenommen hatte, und riss Härchen aus und Haut mit ab und hinterließ ein höllisches Brennen. Sie schmeckte außer dem verschwitzten Klebstoff nun auch ihr eigenes Blut, und Tränen schossen ihr in die Augen.
    Sie blinzelte sie hinweg und warf das Klebeband in die Dunkelheit. Sofort huschte etwas aufgeregt herbei und holte es mit einem triumphierenden Quieken fort. Eve hörte das gierige Knabbern von nadelscharfen Nagezähnen.
    O mein Gott !
    Sie riss sich zusammen. Das ist nur eine Ratte, verdammt!
    Sich sammelnd, wandte sie sich an die kauernde Gestalt. »Was meinst du damit, ich kann gleich wieder gehen?«
    »Ach, komm«, hechelte die Mädchenfrau. »Den Trick habt ihr schon so oft versucht. So-oft-so-oft-so-oft. Ich lasse mich nicht ausspionieren. Das müsst doch selbst ihr jetzt allmählich begriffen haben, nach all der Zeit. Ich sage dir nichts-nicht-nichts.«
    »Ausspionieren?«, fragte Eve ungläubig und verwirrt. »Ich dich? Bist du verrückt?«
    »So-sagt-man-so-sagt-man-so-sagt-man.« Sie kicherte. »Aber wer weiß das schon? Wer bestimmt das? In meinen Augen seid ihr verrückt, und wenn ihr mich für verrückt haltet, heißt das doch, dass ich ganz normal bin, oder? Oder? Oder?!«
    Mit dem letzten »Oder« hatte sie Eve hysterisch aggressiv angeschrien, und Eve wich trotz des Gitters zwischen ihnen instinktiv nach hinten zurück.
    »Ich habe keine Ahnung, wer du bist«, sagte sie vorsichtig. »Ich will nichts von dir.«
    Sie blickte sich um und sah ein zweites Gitter, das im rechten Winkel zu dem anderen verlief, die gesamte Länge der Felsnische entlang, in der sie und die Mädchenfrau sich befanden.
    Die andere war keine Wächterin, wie Eve zunächst vermutet hatte – sie war ebenfalls eine Gefangene. Sie hockten in zwei Zellen nebeneinander.
    »Du-sollst-nicht-lügen-du-sollst-nicht-lü…«
    »Schon gut«, unterbrach Eve sie genervt. »Ich will tatsächlich etwas von dir.«
    »So, so.«
    »Ja, ich will wissen, wo ich bin.«
    »Oh, das weißt du doch ganz genau.«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Von wegen. Ihr solltet euch langsam mal etwas anderes einfallen lassen. Wo-bin-ich-wo-bin-ich-wo-bin-ich? Blablabla.«
    »Du nervst«, raunzte Eve. »Wenn du mir nichts sagen kannst, halt einfach die Klappe.« Sie hatte ganz andere Sorgen, als dass es sie scherte, von einer Mitgefangenen für eine Spionin der Hüter gehalten zu werden.
    »Wie soll ich reden, wenn ich die Klappe halten soll?«, fragte die andere schnippisch. »Aber ich werde nicht sagen, wo sie ist. Dir nicht und niemandem. Nicht in tausend Jahren.« Dann begann sie, leise eine

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