Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Lazarus-Formel

Die Lazarus-Formel

Titel: Die Lazarus-Formel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Pala
Vom Netzwerk:
des Fremden trat.
    »Wo ist sie?«
    Der alte Chinese überlegte. Er hatte es mit einem ehrenwerten Gegner zu tun. Für einen Mann aus dem Westen ungewöhnlich zivilisiert. Er schien die Sitten und Gebräuche des Reiches der Mitte zu kennen und zu respektieren. »Was ist Ihnen diese Information wert?«
    Der Fremde zögerte einen Moment, und für einen Augenblick bekam der Steinmetz es wieder mit der Angst zu tun. Dann aber griff der Mann in seine Hosentasche, holte etwas hervor und warf es ihm zu. Der alte Chinese fing es geschickt auf und sah es sich an.
    Ein Diamant. So groß und so rein wie der, den Doktor Sinclair ihm gegeben hatte.
    Er verbeugte sich. Nun würde es sogar für ein kleines Häuschen reichen. Nein, die Hüter würden ihn nicht finden. Sicher, sie waren gut vernetzt. Aber China war groß und seine Küste lang.
    Er gab dem Fremden die Information. Der nickte und ging. Der alte Mann atmete erleichtert aus und entschied, die restlichen Jadefiguren stehen zu lassen. Er hatte keine Lust auf weitere unangenehme Überraschungen. Er verließ seinen Laden, schwang sich auf sein altes Fahrrad und fuhr davon.
    Ben schaute ihm nach und wog ab. Er wusste, wohin die Hüter Eve Sinclair gebracht hatten. Würde er sie von dort überhaupt befreien können? Er musste es auf jeden Fall versuchen. Aber zunächst musste er noch woanders hin.
    Er bestieg das Motorrad, das er sich, gleich nachdem er in dem Restaurantkeller aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht war, gemietet hatte, und fuhr in die Berge.

45
    Einer der drei Männer, die aus einem gewölbten Gang in den Raum vor Eves enger Zelle traten, trug eine makellos reine Bischofssoutane, der zweite hatte nur noch eine Hand, und der dritte hielt eine Fackel in der einen und eine Peitsche in der anderen.
    Eve zog sich instinktiv in die hintere Ecke ihres Gefängnisses zurück.
    »Wo ist der Stein?«, fragte der Bischof. Seine Augen waren kalt wie die eines Fisches. Ganz anders als die des Mannes mit nur einer Hand; die brannten vor Hass, als er mit zusammengebissenen Zähnen hinzufügte: »Und wo ist Ihr Beschützer?«
    »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden«, log Eve, doch sie begriff sofort, dass die drei wussten, dass sie die Unwahrheit sagte. Natürlich wussten sie es. Der Steinmetz hatte Ben und sie verraten, soviel war sicher. Dennoch entschied sie, sich solange es ging unwissend zu stellen.
    »Wo bin ich?«, fragte sie.
    Der Einhändige ignorierte ihre Frage genauso, wie er gerade ihre Lüge ignoriert hatte. »Sie haben die Wahl, Doktor Sinclair: Sie sagen uns ohne jede Umschweife, was wir wissen wollen, und Sie sterben schnell, oder Sie versuchen Katz und Maus mit uns zu spielen, und ich zeige Ihnen, wer hier die Katze ist und wer die Maus und was eine Katze alles mit einer Maus anstellt, ehe die endlich tot ist. Das ist ganz allein Ihre Entscheidung. Aber Sie sollten sich darüber bewusst sein, dass Sie so oder so reden werden. Alle reden früher oder später.«
    »Ich-nicht-ich-nicht-ich-nicht«, sang die Mädchenfrau aus der Zelle nebenan mit einem schelmischen Unterton. »Nie-nie-nie.« Dann blickte sie auf und drückte neugierig das schmutzige Gesicht durch den Schleier ihrer verfilzten Haare. »Oh, Diakon, was hast du mit deiner Hand gemacht?«
    »Schweig, du Missgeburt!«, zischte der Bischof sie an. »Sobald sie uns verrät, wo der Stein ist und wir ihn an uns gebracht haben, brauchen wir dich nicht mehr. Weil wir dann mit ihm finden, was wir suchen.«
    Eve sah, wie sich die Mädchenfrau aufrichtete. Ganz anders als bis eben waren ihre Bewegungen auf einmal nicht mehr fahrig, sondern grazil, fast überirdisch. Sie stand aufrecht und hoch erhobenen Hauptes da, und obwohl sie von der Größe her Eve vielleicht gerade einmal bis zum Kinn reichte, strahlte sie plötzlich eine unglaubliche Erhabenheit aus, so als wäre sie sehr viel größer als alle anderen in dem unterirdischen Raum.
    Eve konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass sie nicht länger wie eine struppige, ausgehungerte Kanalratte wirkte, sondern wie eine Elbenprinzessin aus einem Roman von Tolkien.
    »Dann werdet ihr mich endlich töten?«, fragte sie, und in ihrer ganz und gar nicht mehr dünnen Stimme schwang zu Eves Überraschung so etwas wie Hoffnung oder vielleicht auch Sehnsucht.
    »Mit einem Vergnügen, das dir vorzustellen du nicht in der Lage bist, Margaret«, sagte der Bischof, und auch in seiner Stimme schwang eine zusätzliche Note – Genugtuung. Eve konnte spüren, welch

Weitere Kostenlose Bücher