Die Lazarus-Vendetta
bevor er zur nächsten Kirche weiterging. Ihm taten die Füße weh. Seit mehreren Stunden lief er schon durch das Gewirr sich windender Straßen dieser Stadt, auf der Suche nach versprengten Gruppen überlebender Aktivisten der LazarusBewegung. Mit einem Wagen wäre dies natürlich schneller und effizienter zu machen gewesen, aber das war nicht sein Stil und außerdem viel zu auffällig. Der Wagen, mit dem er nach New Mexico gekommen war, würde noch eine Weile aus dem Spiel bleiben müssen.
Eine Frau mittleren Alters mit einem freundlichen, wohlwollenden Gesicht kam auf ihn zu. Sie musste jemand aus der Gemeinde der Cristo Rey Church sein, die die Pforten ihrer Kirche für die Hilfesuchenden geöffnet hatte, überlegte er. Nicht alle in Santa Fe waren in Panik geraten und in die Berge geflohen. Er sah die Sorge in ihren Augen. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie. »Waren Sie bei der Demonstration draußen vor dem Institut?«
MacNamara nickte bedrückt. »Ja.«
Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. »Sie Armer! Es war schon entsetzlich, es von weiten mit anzusehen – im Fernsehen, meine ich. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie man sich fühlen muss,
wenn man …« Ihre Stimme wurde immer leiser und verstummte dann ganz. Sie starrte ihn mit aufgerissenen Augen an.
Ihm wurde plötzlich bewusst, dass der Ausdruck auf seinem Gesicht kalt und abweisend geworden war. Das Grauen, das er erlebt hatte, war noch zu nah. Mit Mühe schob er die entsetzlichen Bilder beiseite, die in ihm aufstiegen. Er seufzte.
»Entschuldigen Sie«, sagte er sanft. »Ich wollte Ihnen keine
Angst machen.«
»Haben Sie jemanden ver…«, die Frau zögerte. »Ich meine,
suchen Sie jemanden? Jemand Bestimmten?«
MacNamara nickte. »Ich suche tatsächlich jemanden. Mehrere Leute sogar.« Er beschrieb sie ihr.
Sie hörte aufmerksam zu, doch schließlich schüttelte sie den Kopf. »Ich fürchte, hier ist niemand, auf den die Beschreibung passt.« Sie seufzte. »Aber Sie könnten es im buddhistischen Upaya-Tempel droben in den Bergen versuchen – immer die Cerro Gordo Road stadtauswärts. Die Mönche dort bieten den Überlebenden ebenfalls Zuflucht. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen genau aufzeichnen, wie Sie zum Tempel kommen.«
Der hagere blauäugige Mann nickte dankbar. »Das wäre sehr freundlich.« Er richtete sich gerade auf und straffte die Schultern. Du hast noch viele Meilen zu gehen, bevor du schlafen kannst, ermahnte er sich grimmig. Und höchstwahrscheinlich umsonst. Die Männer, hinter denen er her war, waren vermutlich schon längst untergetaucht.
Die Frau blickte auf seine verschrammten, staubigen Stiefel hinab. »Soll ich Sie fahren?«, fragte sie zögernd. »Wenn Sie den ganzen Tag gelaufen sind, müssen Sie furchtbar müde sein.«
Zum ersten Mal seit Tagen lächelte MacNamara. »Ja«, sagte er leise. »Ich bin verdammt müde. Und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich ein Stück fahren würden.«
Außerhalb von Santa Fe
Das Haus, das vom TOCSIN-Einsatzkommando als Unterschlupf und Einsatzzentrale genutzt wurde, lag hoch oben in den Vorbergen der Sangre de Cristo Mountains, unweit der Straße, die zum Santa Fe Ski Basin hinaufführte. Eine schmale, von einer Eisenkette und einem großen Schild mit der Aufschrift KEEP OUT versperrte Zufahrt schlängelte sich zwischen goldblätterigen Espen, dem kupferroten Laub knorriger Eichen und hohen dunkelgrünen Nadelbäumen hindurch bergauf.
Hal Burke bog von der Hauptstraße, hielt an und kurbelte das Fenster des Chrysler LeBaron herunter, den er unmittelbar nach seiner Ankunft auf dem internationalen Airport von Albuquerque gemietet hatte. Er blieb sitzen und behielt die Hände gut sichtbar auf dem Steuer.
Eine dunkle Gestalt löste sich aus dem Schatten eines dicken Baumstamms. Im diffusen Licht der abgeblendeten Scheinwerfer konnte Burke ein schmales, scharf geschnittenes und misstrauisch blickendes Gesicht ausmachen. Eine Hand des Mannes schwebte wachsam über dem Griff der 9mm-WalterPistole an seiner Hüfte. »Das ist eine Privatstraße, Mister.«
»Ja, ich weiß«, erwiderte Burke. »Und ich bin privat hier. Mein Name ist Tocsin.«
Der Wachposten kam, von Burkes richtiger Verwendung des Erkennungscodes beruhigt, näher. Er ließ den schmalen Lichtkegel seiner Kugelschreiberleuchte über das Gesicht des CIA-Agenten und dann über den Rücksitz des Chrysler wandern, um sich zu vergewissern, dass Burke allein war. »Zeigen Sie mir irgendeinen Ausweis.«
Vorsichtig
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