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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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genau erkennen ließ. Sie sah niemanden, sie konnte an eine Liebkosung des Seewindes glauben, der im Sommer durch das offene Fenster eindrang.
    Inzwischen schien Paulinens große Neigung zu Lazare täglich heftiger zu werden, und bei ihrer geschwisterlichen siebenjährigen Kameradschaft war es nicht nur das unwillkürliche Erwachen des Weibes: sie hatte auch das Bedürfnis, sich ihm zu weihen, ein Blendwerk malte ihn ihr als den Klügsten, Stärksten. Langsam verwandelte sich diese Brüderlichkeit in Liebe mit dem süßen Gestammel aufblühender Leidenschaft, dem kräftig vibrierenden Lachen, mit flüchtigen Berührungen, der bezaubernde Flug nach dem Lande der edlen Zärtlichkeit vollzog sich unter dem Drängen des Schöpfungsinstinktes. Er hatte infolge der Ausschweifungen des Quartier latin weiter keine Neugier für sie übrig und sah daher auch des ferneren in ihr eine Schwester, die sein Begehren nicht streifte. Sie dagegen, noch Jungfrau, betete in dieser Einsamkeit, wo sie nur ihn fand, nach und nach ihn an und gab sich ihm vollkommen hin. Wenn sie vom Morgen bis zum Abend beieinander waren, schien sie nur von seiner Gegenwart zu leben, ihre Augen suchten die seinen, und sie eiferte, ihm dienstbar zu sein.
    Um diese Zeit staunte Frau Chanteau über Paulinens Frömmigkeit. Sie sah, daß sie zweimal beichten ging. Dann aber schien das Mädchen plötzlich gegen den Abbé Horteur kalt geworden zu sein. Es weigerte sich sogar an drei Sonntagen, die Messe zu besuchen und ging nur wieder dorthin, um ihre Tante nicht zu bekümmern. Übrigens sprach Pauline sich nicht darüber aus, sie mußte durch die Fragen und Auseinandersetzungen des Abbé verletzt sein, der eine grobe Zunge hatte. Bei dieser Gelegenheit erriet Frau Chanteau mit der Witterung einer zärtlichen Mutter die wachsende Liebe Paulinens. Sie schwieg dennoch und sprach nicht einmal zu ihrem Manne davon. Dieses verhängnisvolle Ereignis überraschte sie, denn bis zur Stunde hatte die Möglichkeit einer zarten Neigung, vielleicht gar einer Heirat, nicht zu ihren Plänen gehört. Sie hatte wie Lazare fortgefahren, ihr Mündel wie ein unreifes Mädchen zu behandeln; sie wollte über den Fall nachdenken, nahm sich vor, jene zu überwachen, und tat schließlich nichts von allem, weil sie sich im Grunde wenig um Dinge scherte, die nicht zum Vergnügen ihres Sohnes gehörten.
    Die heißen Augusttage waren gekommen, der junge Mann bestimmte eines Abends, daß man am folgenden Tage auf dem Wege nach der Fabrik ein Bad nehmen werde. Von ihren Schicklichkeitsgedanken gequält, begleitete sie die Mutter trotz der schrecklichen Hitze der Dreiuhrsonne. Sie setzte sich neben Mathieu auf die glühenden Strandsteine und beschützte sich mit ihrem Sonnenschirm, unter den auch der Hund seinen Kopf zu stecken suchte.
    »Nun! wohin geht sie denn?« fragte Lazare, als er Pauline hinter einem Felsen verschwinden sah.
    »Sie will sich natürlich entkleiden!« sagte Frau Chanteau. »Drehe dich um, du belästigst sie, das ist nicht schicklich.«
    Er war sehr erstaunt und blickte weiter nach der Seite des Felsens, wo ein weißer Hemdzipfel flatterte, dann richtete er die Augen wieder auf seine Mutter und entschloß sich, ihr den Rücken zu kehren. Er selbst zog sich eiligst aus, ohne ein Wort hinzuzufügen.
    »Bist du fertig?« rief er endlich. »Das sind aber Umstände! Was sollen die Flausen?«
    Leichtfüßig, mit einem übertrieben heiteren Lachen, aus dem eine leichte Verwirrung hervorklang, eilte Pauline herbei. Seit der Heimkehr ihres Vetters hatten sie noch nicht gemeinsam gebadet. Sie hatte ein aus einem Stück gemachtes Schwimmkostüm angelegt, das, um den Leib durch einen Gürtel festgehalten, die Hüften freiließ. Mit ihren geschmeidigen Lenden, der gewölbten Brust glich sie so verzierlicht einem florentinischen Marmorbildwerk. Ihre nackten Arme und Beine, die bloßen, mit Sandalen bekleideten kleinen Füße hatten die Weiße eines Kindes bewahrt.
    »Na?« begann Lazare von neuem. »Gehen wir bis zu den Picochets?«
    »Gewiß, bis zu den Picochets«, erwiderte Pauline.
    Frau Chanteau rief ihnen nach: »Entfernt euch nicht zu weit... Ihr macht mir immer angst!«
    Aber schon waren sie im Wasser. Die Picochets, eine Gruppe von Felsen, von denen einige selbst bei hoher Flut unbedeckt blieben, befanden sich ungefähr einen Kilometer vom Ufer entfernt. Sie schwammen beide ohne Hast nebeneinander wie zwei Freunde, die auf einem schönen, geraden Wege einen Spaziergang machen.

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