Die Lebensfreude
Zuerst war ihnen Mathieu gefolgt. Als er sie immer weiter schwimmen sah, war er zurückgekehrt, hatte sich abgeschüttelt und Frau Chanteau vollständig bespritzt. Nutzlose Heldentaten waren seiner Faulheit zuwider.
»Du bist klug«, sagte die alte Dame. »Du lieber Gott, ist es erlaubt, sein Leben so auf das Spiel zu setzen!«
Sie unterschied kaum die Köpfe von Lazare und Pauline, sie glichen auf der Oberfläche der Wellen treibenden Büscheln Meergras. Es war ziemlich bewegte See; sie drangen, von den weichen Wogen geschaukelt, langsam vor und plauderten ruhig von den Algen, die in der Durchsichtigkeit des Wassers unter ihnen vorüberschwammen. Pauline legte sich ermüdet auf den Rücken, das Antlitz gen Himmel gewendet und verlor sich in die Unendlichkeit des tiefen Blaus. Dieses Meer, das sie wiegte, war ihre vertraute Freundin geblieben. Sie liebte seinen scharfen Atem, seine eisige, keusche Flut; sie überließ sich ihm, glücklich sein endloses Rieseln gegen ihr Fleisch zu verspüren, sie durchkostete die Freude dieser gewaltigen Leibesübung, welche die Schläge ihres Herzens regelte.
Sie stieß einen leisen Schrei aus. Beunruhigt fragte ihr Vetter:
»Was ist geschehen?«
»Ich glaube, mein Leibchen ist geplatzt... Ich habe den rechten Arm zu stramm ausgestreckt.«
Und beide scherzten. Sie hatte wieder langsam zu schwimmen begonnen und lächelte leise, als sie den Unfall wahrnahm: die Achselnaht war geplatzt und Brust und Schulter nun völlig entblößt. Der junge Mann sagte ihr aufgeräumt, sie möge doch in ihren Taschen nachsehen, ob sie nicht Stecknadeln bei sich hätte. Indessen waren sie bei den Picochets angekommen, er stieg ihrer Gewohnheit gemäß auf einen Felsen, um vor der Rückkehr an das Land Atem zu schöpfen. Sie schwamm unverdrossen weiter um die Klippe herum.
»Du steigst nicht herauf?«
»Nein, ich befinde mich hier sehr wohl.«
Er vermutete eine Laune ihrerseits und ärgerte sich. War das vernünftig? Wenn sie nicht einen Augenblick ausruhte, konnten ihr die Kräfte während der Rückkehr ausgehen. Aber sie blieb eigensinnig dabei, sie antwortete auch nicht mehr und schwamm mit leisem Geräusch bis zu dem Kinn im Wasser umher, wobei das entblößte Weiß ihrer Schultern verschwommen und milchig wie Perlmutter in das Wasser tauchte. Gegen das offene Meer hin war der Fels zu einer Art Grotte ausgehöhlt, in der sie früher, angesichts des leeren Horizontes Robinson gespielt hatten. Auf der anderen Seite zeichnete sich Frau Chanteau wie der schwarze verlorene Punkt eines Insektes am Strande ab.
»Verdammter Charakter!« rief endlich Lazare, sich wieder ins Wasser stürzend. »Wenn du einen Schluck trinkst, lasse ich dich auf Ehrenwort ruhig trinken.«
Sie schwammen langsam zurück. Sie schmollten und sprachen nicht mehr miteinander. Als er sie keuchen hörte, sagte er ihr, sie möge sich wenigstens auf den Rücken legen. Sie schien nicht zu verstehen. Der Riß erweiterte sich: bei der geringsten Wendebewegung hätte ihre Brust wie eine Blüte der Algen zur Oberfläche emportauchen müssen. Jetzt begriff er klar; da er ihre Ermüdung bemerkte und fühlte, daß sie das Ufer nimmermehr erreichen werde, näherte er sich ihr entschlossen, um sie zu stützen. Sie wollte sich wehren und allein weiter schwimmen; schließlich aber mußte sie sich ihm überlassen. Eng aneinander geschmiegt, sie quer vor ihm liegend, näherten sie sich dem Strande.
Frau Chanteau war entsetzt herbeigelaufen, während Mathieu, bis zum Bauche im Wasser, aufheulte.
»Mein Gott! Welche Unvernunft!... Ich sagte gleich, ihr ginget zu weit.«
Pauline war ohnmächtig geworden. Lazare trug sie wie ein Kind ans Ufer; sie ruhte jetzt halb nackt an seiner Brust, beide von Salzwasser triefend. Bald seufzte sie und öffnete die Augen. Als sie den jungen Mann erkannte, brach sie in ein heftiges Schluchzen aus, sie erstickte ihn fast in einer nervösen Umarmung, indem sie ihm mit vollen Lippen auf gut Glück das Gesicht küßte. Das geschah wie unbewußt, aus freiem Antriebe der Liebe, die aus dieser Todesgefahr erstand.
»Oh, wie gut du bist, Lazare. Oh! Wie ich dich liebe!«
Er war von dem Ungestüm dieses Abküssens ganz durchschauert. Als Frau Chanteau sie wieder ankleidete, entfernte er sich von selbst. Die Heimkehr nach Bonneville war lieblich und mühsam zugleich, denn beide schienen wie gebrochen vor Mattigkeit. Zwischen ihnen schritt die Mutter einher und sagte sich, daß die Stunde gekommen sei, einen
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