Die Lebenskünstlerin (German Edition)
Herzrasen und meine Hände zittern unkontrolliert.
Richtig ausgewogen ernähre ich mich im Moment ja gerade nicht. Pralinen, Salzstangen und Kaffee. Wenn ich so weitermache, züchte ich mir noch ein Magengeschwür.
Natürlich weiß ich, dass es so nicht weiter gehen kann. Hoffentlich bekomme ich bald einen verbindlichen Arbeitsvertrag von meiner Hotelchefin. Worauf ich den Bäckerjob sofort kündigen werde.
Ein paar Tage später steht der nervige Maiwald wieder vor dem Hotel. Er sei offiziell hier, eröffnet er mir mit ungewohnt ernster Miene in einem Tonfall, der nichts Gutes verspricht.
Das Hotel hätte in der Zwischenzeit Insolvenz angemeldet, meine Kollegen wüssten schon Bescheid.
Ich will ihm nicht glauben. Deshalb gehe ich stur durch den Vordereingang.
Die verknitterte Chefin packt irgendwelche Unterlagen in eine Plastiktüte, die sie bei unserem Anblick schnell hinter dem Tresen verschwinden lässt.
Sie bestätigt in kurzen kalten Worten, dass meine Arbeit hier zu Ende sei. Eventuelle Gehaltsforderungen meinerseits würden vom Insolvenzverwalter erfasst und gegebenenfalls ausgeglichen. Damit hätte sie jetzt nichts mehr zu tun.
Maiwald steht stumm neben mir. Sanft zieht er mich aus dem Foyer, da ich keine Anstalten mache, in irgendeiner Form zu reagieren.
Ich schufte wie eine Blöde und der Laden ist insolvent. Das haben die doch schon vorher gewusst.
Die Frage ist auch: Hat es Maiwald gewusst?
Er weicht aus und verspricht, Augen und Ohren offen zu halten, um mir baldigst eine neue Arbeitsstelle zu vermitteln.
Ich gehe nach Hause. Kontrolliere online meinen Kontostand. Das Hotel hat für die letzten beiden Monate kein Gehalt überwiesen. Der Bäcker ist immer noch im Rückstand. Dadurch, dass ich keine Zeit zum Geldausgeben hatte, ist mein Konto noch nicht überzogen. Eine Frage der Zeit.
Woher soll ich jetzt Geld bekommen?
Erschöpft beschließe ich, zunächst ins Bett zu gehen, um ein wenig den versäumten Schlaf nachzuholen. Doch ich kann nicht einschlafen. Existenzängste plagen mich. Ich male mir die wildesten Horrorgeschichten aus:
Sehe mich bettelnd am Straßenrand, neben mir ein flohbesetzter struppiger Köter. Meine einst schönen Haare sind schrecklich verfilzt. Niemand soll mich erkennen. Dennoch hoffe ich, dass gütige Menschen ein paar Münzen in meine zerfledderte Pappschachtel werfen. Ich könnte auch wieder in die Garage ziehen.
Hallo Selina, die Wohnung ist bezahlt, du hast keinerlei Schulden. Beruhige dich.
Aufgewühlt sitze ich abermals vorm PC. Trotz gründlichen Suchens finde ich kein passendes Stellenangebot. Ich werde morgen wieder zehn oder vielleicht auch zwanzig Bewerbungen schreiben. Irgendwohin. Hauptsache, ich unternehme etwas. Mir ist richtig schlecht vor Angst.
Unerwartet blinkt es auf dem Bildschirm: Sie haben eine Nachricht.
Gespannt öffne ich die Mittelung.
Liebste Selina, w ie geht es dir?
Es ist der Windeldoktor.
Wütend will ich zurückschreiben. Dass ich auf seine dampfende Würstchenfantasien keinen Bock habe oder so. Doch ich überlege es mir anders.
Konsequent lösche ich mich aus allen Internetforen. Zudem ändere ich meine E-Mail-Adresse. Darin bin ich inzwischen richtig firm. Mehrere im Mobiltelefon gespeicherte Notizen und Nummern werden gleichfalls getilgt.
Schluss mit den Männern. Ich werde jetzt lernen, mit mir selbst klar zu kommen. Adios mein ersehnter edler Prinz.
Ab sofort warte ich nicht mehr auf dein Erscheinen. Reite doch mit deinem schmucken Pferd auf dein prächtiges Schloss oder sonst wohin. Es ist mir so was von egal. Wirklich.
Bittere Abrechnung am Totenbett
Die nächste Hiobsbotschaft lässt nicht lange auf sich warten. Meine langweilige und dennoch geliebte Bäckereifiliale wird zum Monatsende schließen. Ausgerechnet jetzt, wo ich den ganzen Katalog der Zutatenlisten vollständig auswendig dahersagen kann.
Ich stehe mit meinen völlig verzweifelten und immens aufgeregten Kolleginnen auf dem Parkplatz der Hauptfiliale. Alle plärren durcheinander. Aufgebracht werden Verschwörungstheorien und rechtliche Maßnahmen gedanklich durchgespielt.
Solche Treffen bringen nichts und trotzdem stehe ich verloren mitten drin.
Erstaunlich, dass die Frauen bereits etliche Monate unentgeltlich arbeiten. Im Gegensatz zu mir haben sie ausnahmslos ihre treusorgenden Ehegatten, die immerhin den Hauptteil des Lebensunterhaltes gewährleisten.
Mir ist das Gezeter zuviel. Unbemerkt verabschiede ich mich.
Natürlich
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