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Die Lebenskünstlerin (German Edition)

Die Lebenskünstlerin (German Edition)

Titel: Die Lebenskünstlerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ute R. Albrecht
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ist, wenn ein Körper seine Funktionen bis auf ein Minimum zurücknimmt.
    Beim Abwaschen ihres Gesichtes fange ich einfach an, leise mit ihr zu reden. Ich sage ihr, dass ich nicht genau weiß, warum ich sie überhaupt besuche, da ich keinerlei guten Erinnerungen an sie habe.
    Mutiger werdend sage ich diesem leblosen Körper, dass ich immer auf ihre Liebe gehofft hätte. Aussichtslos darum bettelte.
    Sie liegt da und hört mir endlich einmal zu, oder auch nicht. Egal, mir verschafft dieses Reden Erleichterung. Ja, es wirkt regelrecht befreiend. Wütend und heftig mache ich Vorhaltungen bezüglich der Übergriffe meines Vaters, schließlich hat sie mich im Stich gelassen. Wie im Rausch werfe ich ihr alles vor, was mir gerade einfällt.
    Hier auf ihrem Totenbett breite ich mein ganzes kindliches Elend aus. Gelange dann irgendwann zu meiner Ehe, lass alles von mir ab, was mich beschäftigt. Es ist immer noch ruhig im Haus.
    Wenn das Auto meines Vaters mit meinem Bruder in die Einfahrt fährt, das würde ich mitbekommen.
    Meine Ausführungen gehen weiter, bis ich bei meiner jetzigen Situation angelangt bin: Bei meinen finanziellen Schwierigkeiten, der Arbeitslosigkeit, die beendete Beziehung zu Konrad. Mir ist ganz egal, dass sie von dieser Beziehung gar nichts wusste.
    Sie liegt da und sagt nichts. Das ist gut so.
     
    Dann berichte ich von meiner Eigentumswohnung, von dem Leben in der Garage mitten im Winter.
    Gelegentlich kontrolliere ich am Fenster, ob noch alles ruhig draußen ist.
    Zornig schimpfe ich, dass ich keine Ahnung habe, warum ich sie überhaupt besuche. Werfe ihr vor, dass sie mich nie akzeptiert hat, mich statt dessen widerlich beschimpfte und erniedrigte. Und wie mies sie zu mir war, als sie beim Tod meines Bruders, ihres Lieblingssohnes, lauthals vor der ganzen Familie lamentierte, warum nicht diese blöde Kuh, also ich, gestorben sei, sondern der liebe Aaron. Schließlich sei die sowieso zu nichts nütze.
    Heulend sitze ich an ihrem Bett und lasse absolut jeden Schmerz raus, der mir gerade in den Sinn kommt.
    Irgendwann habe ich alle nagenden Gedanken und Gefühle, die in mir schlummerten, herausgebracht. Erschöpft schweige ich einige Minuten. Es ist inzwischen ziemlich dunkel und ich knipse die Nachttischlampe an.
    Die Szene wirkt nahezu gespenstisch. Das schwache, milde Licht intensiviert ihre Silhouette grotesk und die Konturen auf ihrem Gesicht scheinen ausgeprägter. Die Augenlider liegen wie Höhlen in diesem Schädel. Ist sie noch in ihrem Körper? Es fühlt sich so an, obwohl es nicht danach aussieht.
    In mir breitet sich eine Milde aus. Die Wut, der Hass auf meine Mutter weicht zugunsten etwas anderem. Ich kann es noch nicht genau benennen. Mitgefühl vielleicht?
     
    „Weißt du“, beginne ich erneut, „jetzt geht es mir besser. Jetzt, nachdem ich dir alles gesagt habe, wozu ich mich niemals unter normalen Umständen getraut hätte.“
    Ich strecke meine Beine aus und rede weiter in die Nacht hinein.
    „Nun habe ich dir von meinem Schmerz erzählt, von meinem Gefühl, überflüssig, unnütz und ungeliebt zu sein. Missbraucht, geschlagen, gequält und immer auf deine Unterstützung hoffend. Du konntest mir aus irgendwelchen Gründen damals nicht helfen, hast mich lieber in den Keller gesperrt.“
    Sie scheint noch zu atmen. Fast unmerklich nehme ich es wahr. Es ist sehr still, keinerlei Geräusche sind zu hören.
    Versöhnlich sehe ich sie an und rede weiter: „Ach Mutter, wenn du schon hier auf Erden mir nicht das geben konntest, was ich so dringend gebraucht hätte, vielleicht kümmerst du dich als Engel im Himmel bisschen um mich - falls du dorthin kommen solltest?“
    Völlig unerwartet bäumt sich Mutters hagerer Körper auf. Sie erreicht fast eine sitzende Position. Ihre Augen sind weit aufgerissen mit starrem Blick.
    Geschockt verharre ich regungslos, als sie für mich laut und deutlich krächzt: „Ja, mache ich. Wenn ich wirklich in den Himmel komme, sehe ich nach dir.“
    Spricht es aus und sinkt schlagartig wieder in ihre Kissen zurück. So, als ob nichts gewesen wäre.
    Verdattert sitze ich neben ihrem Bett.
    Sie liegt nun schon Monate im Koma, seither hat sie kein einziges Wort gesagt. Nie auf irgendwas reagiert.
    Mein Herz klopft bis zum Hals, nein, im ganzen Körper. Meine Hände zittern.
    Ich höre Vaters Auto die Einfahrt hochfahren.
    Mutter liegt ruhig da, kein Mensch käme auf die Idee, dass so etwas eben passiert ist.
    Natürlich erzähle ich nichts davon. Wieso

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