Die Lebenskünstlerin (German Edition)
mein Orientierungssinn nicht besonders ausgeprägt.
Nachmittags besuche ich Manuela, ihr Krankheitsbild hat sich wieder etwas gewandelt. Ihre Pseudoleberentzündung ist gewichen und hat einem potentiellen Magengeschwür Platz gemacht. Felix bringt selbstgebackenen Kuchen mit und Vanessa Plätzchen. Kräftig langen wir alle zu, Manuela ebenso. Wir haben unseren Spaß, albern ein wenig herum.
Ein schöner Nachmittag.
Als Felix und Vanessa gegangen sind, helfe ich Manuela noch beim Aufräumen. Unablässig erzählt sie nun wieder von ihren Krankheiten.
Es gibt kaum Schlimmeres als eine weinerliche, klagende Stimme, die von ihren Gebrechen erzählt als seien es Trophäen, die mit viel Mühe gesammelt wurden.
Keineswegs habe ich das Gefühl, dass sie Interesse an einer Heilung oder Genesung hat. Im Gegenteil, sie hat jetzt endgültig eine plausible Erklärung dafür, dass sie die vom Arbeitsamt begonnene Umschulung nun wieder abbrechen muss.
Krankheit garantiert in unserer Gesellschaft dem Betreffenden einen kritiklosen Freiraum, in dem er zum Tyrannen mutieren kann.
Besser eine Krankheit vorschieben, als die Verantwortung für das eigene Leben übernehmen? Was wollen ihr die vielen Symptome beibringen? Ich weiß nicht, es fühlt sich an, als ob sie eine Entscheidung treffen müsste: Krankheit oder Wachstum.
Nicht so einfach. Wachstum erfordert Mut und kann weh tun. Krankheit liefert eine samtweiche Entschuldigung, sich dem nicht auszusetzen.
Ich beschränke mich nunmehr aufs Zuhören. Gelegentlich äußere ich ein paar Gedanken zu ihren Ausführungen. Als ich merke, dass hier absolut keine Unterstützung gewünscht wird, verabschiede ich mich mit einem Vorwand. Schade, hoffentlich kommt sie bald wieder aus diesem Krankenkarussell raus.
Auf der Heimfahrt besuche ich meine Söhne, wir surfen gemeinsam im Internet. Sie erklären mir, wie ich Musik kostenlos und legal herunterladen kann. Anscheinend habe ich mich nicht besonders intelligent angestellt, denn vorsichtshalber bestücken sie mir einen Speicherstick mit meinen Lieblingsliedern. So singe ich fröhlich vor mich hin, als ich nach Hause fahre.
Am späten Abend verfalle ich ins Grübeln.
Was ist, wenn das Treffen mit Lukas morgen enttäuschend wird? Habe ich denn wirklich Interesse an etwas Ernsthaftem? Ist es noch zu früh? Er scheint ja auch noch seiner letzten Beziehung nachzuhängen. Sie hätte ihn betrogen und seine Lebensversicherung geplündert.
Soll ich es lassen und absagen?
Gut, beruhige ich mich, ich habe mich zwei-, dreimal mit ihm länger unterhalten. Er hat mich zum Tanzen abgeholt, das war echt schön. Dann hat er angerufen und mich eingeladen. Nur Kaffee und Kuchen, PUNKT . Das ist die Realität. Mehr nicht.
Mir gefällt seine Leichtigkeit, sein Optimismus. Natürlich auch die Art, wie er mir Komplimente macht. Über mein Äußeres, meine wunderbare Ausstrahlung, meine Intelligenz. Meine Herzlichkeit. Schmelz.
Ich spüre regelrecht Angst, dass ich mich auf irgendwas einlasse, weil ich ihn anziehend finde. Dass es dann wieder schmerzt, verletzt, zerstört. Was ist nur los?
Ich gehe zum Kaffee hin und abends brav wieder heim. Basta.
Tatsächlich bin ich über eine Stunde früher los für einen Weg, der in einer Viertelstunde zu bewältigen wäre. Natürlich erzähle ich nichts von diesem Herumirren, als mich Lukas fröhlich an seiner Haustür erwartet.
Eine Doppelhaushälfte, etwa fünfzehn Jahre alt, schätze ich. Die Fassade weiß, die Holzfenster dunkelbraun gestrichen. Schön konservativ. Vorgarten gepflegt und sauber, aber nicht akkurat.
Keine terrakottafarbene Tonfiguren. Schade, hätte irgendwie gepasst.
Zwei Katzen begrüßen mich vorsichtig, eine getigerte und eine schwarzweiße. Im Flur entdecke ich einen altmodischen rotgemusterten Teppich und bin gespannt auf das Wohnzimmer.
Lukas geht voran und so sieht er glücklicherweise nicht mein Gesicht, welches bestimmt Bände spricht.
Alles gemustert, stelle ich fest.
Gemusterte Teppiche, Sitzgarnitur, Sofas, Stühle, Tischdecken - ja, sogar die Übergardinen sind gemustert. Überwältigend bunt, aber richtig schön konservativ, das ist genau das, was mir fehlt und wonach ich mich sehne.
Er hat offensichtlich gewischt und geschrubbt, damit er bei mir einen guten Eindruck hinterlässt, es sieht sehr sauber aus.
Hingebungsvoll schenkt er mir Kaffee ein, gibt mir das schönste Stück Kuchen. Tatsächlich Erdbeeren. Seine beiden Katzen springen ungehindert auf
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