Die Lebensprinzipien
dann würde doch der letzte Respekt vor solchen Titeln wegbrechen. Nun hatte der Freiherr beim legitimen und sogar geforderten Abschreiben nicht zitiert, und das ist (s)ein ernstes Vergehen, was natürlich ein Verfahren
nach sich zog. Er hatte sich also gegen die Regeln vergangen und war in einer verfahrenen Situation gelandet.
Aber stimmte das so in seinem Fall überhaupt? Als er im Moment der Entdeckung im Brustton der Überzeugung von einem Irrtum sprach, der sich aufklären werde, hatte ich das in dreißig Jahren Psychotherapie trainierte Gefühl, er lüge gar nicht. Bis dato war er auch dafür bekannt, in erfrischender Weise die Dinge beim Namen zu nennen. Einen Krieg nannte er Krieg, und alle, die an die Halb- und Unwahrheiten seines mindestens so peinlichen Vorgängers gewöhnt waren, zeigten sich erleichtert.
Tatsächlich drängt sich mir eine ganz andere Erklärung auf: Der Freiherr hatte vielleicht weder die Öffentlichkeit belogen noch abgeschrieben, sondern jemand ganz anderes hatte ihn belogen und für ihn abgeschrieben, den er gewonnen hatte, seine Dissertation oder Teile davon an seiner Stelle zu schreiben. Dann hätte der Freiherr »nur« seine Fakultät betrogen und wäre bei diesem Schwindel einem Schwindler aufgesessen, der, statt selbst zu schreiben, abgeschrieben hätte. Auch das wäre ein leider nicht ganz seltenes Vor-und Vergehen und würde einiges erklären. Dann hätte er nicht öffentlich gelogen, sondern nur nicht damit gerechnet, selbst so frech betrogen worden zu sein. Das Resonanzgesetz lässt grüßen. Beim Thema Hermes-Merkur stoßen wir natürlich ständig auf die beiden zentralen hermetischen Gesetze, das der Polarität und das der Resonanz.
Der Schwindel mit Titeln läuft auf vielen Ebenen und gedeiht in einer Zwillinge-Merkurzeit auf wahrhaft hohem Niveau, und er verrät dabei zugleich ein bedenklich niedriges Niveau. In einer so wissenschaftsgläubigen, fast wissenschaftshörigen Zeit, in der die meisten Menschen nach dem Verlust ihrer Religion nun umso mehr an die Wissenschaft glauben, hat diese viel zu verlieren und möchte die Wahrheit hinter ihren Kulissen gern hermetisch vor der Öffentlichkeit verschließen. Das erklärt, warum Wissenschaftler sofort so hart und erregt gegen den Freiherrn zu Felde zogen. Bei den außerordentlich aggressiven Politikern kam hinzu, dass sich
der eigene Schatten in der Projektion noch immer am genussvollsten bekämpfen lässt. Ein Heer von Unehrlichen hat sich über einen der Unehrlichkeit in einem Fall Überführten hergemacht, um – unbewusst – von sich selbst und eigenen Unehrlichkeiten abzulenken. Immerhin halten fast alle Spitzenpolitiker Reden, die ihnen andere geschrieben haben, ohne das jemals einzugestehen.
In der Wissenschaftsgemeinde gibt es – wie in der Polarität nicht anders zu erwarten – auch das Gegenteil, und das ist nicht weniger peinlich: Scheinbar honorige Professoren schließen sich zu sogenannten Zitierkartellen zusammen und zitieren sich ständig gegenseitig in ihren angeblich objektiven Artikeln und Studien und erhöhen so ihr »Ranking«. Dahinter steckt die an sich lächerliche, aber (arche-)typisch merkuriale Idee – gemischt mit sonnenhaften Ego-Ansprüchen –, die Wichtigkeit und Bedeutung eines Wissenschaftlers daran zu messen, wie oft er zitiert wird.
Quantität vor Qualität zu stellen ist eines der Grundübel unserer vom Zwillinge-Merkurprinzip geprägten Zeit, das nicht nur die Wissenschaftsszene verunziert, sondern auch den Lebensmittelbereich betrifft. Von entsprechender Werbung motiviert, verspeist die Bevölkerung quantitativ erhebliche Berge von gefährlichem Industrieunrat und leidet qualitativ erschreckenden Mangel.
Und es gibt genug andere Peinlichkeiten im Merkurbereich der Wissenschaft, wie etwa die Tatsache, dass zehn Prozent aller Studien gefälscht sind, um an Forschungsgelder heranzukommen, wie ein deutsches Fernsehmagazin nach gerichtlicher Klärung behaupten darf. Darüber hinaus haben Halbwahrheiten und Abschreiben auf vielen Ebenen Hochkonjunktur. In der Esoterikszene etwa ist Abschreiben ein fast schon normales Vorgehen, um nicht zu sagen die Regel. Ich erlebe immer wieder, wie ganze Vorträge aufgenommen, Folien komplett abfotografiert werden, um sie später als eigenes Repertoire auszugeben. Und natürlich habe auch ich einen Großteil meines Wissens »übernommen« – im Wesentlichen von den großen Weisheitslehrern, die ich für die beste Quelle halte und zu meiner
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