Die Lebküchnerin
lebt! Er lebt!«, jubelte Alisa nun.
»Wer?« Während sie noch fragte, ahnte Benedicta bereits, von wem die Rede war. Im ersten Augenblick hätte sie sich am liebsten hastig verabschiedet, aber da hatte Alissa sie bereits in die Diele gezogen.
»Julian! Er kämpfte aufsehen des Burggrafen in Döffingen und wurde verwundet. Der Graf ließ die Überlebenden nach Nürnberg bringen. Und nun liegt er in seinem Zimmer. Er war bewusstlos, aber dann wachte er auf und rief nach einer Schwester Benedicta. Weißt du wohl, wer das sein könnte?«
Benedicta erschrak. Wenn ihr doch nur ein Vorwand eingefallen wäre, wie sie sich aus dem Staub hätte machen können! Aber ihr Kopf war leer.
Alisa hatte sie inzwischen an die Hand genommen und zu Julians Kammer geführt. »Setz dich ruhig an sein Bett, er schläft, und ruf mich, wenn er mich braucht«, flüsterte Alisa und verließ die Kammer. Die Tür ließ sie halb offen.
Im Flur angekommen, ließ Alisa ihre fröhliche Maske fallen und hielt den Atem an. Sie wollte sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass Brunhild und Benedicta ein und dieselbe Person waren, denn sie hatte der angeblichen Lebküchnerin nur die halbe Wahrheit offenbart.
Julian hatte, nachdem er vorhin kurz aufgewacht war, wiederholt gestöhnt: »Wo bist du, liebste Benedicta?« Sie, die Tochter des Fechtmeisters, aber hatte der Verwundete überhaupt nicht wahrgenommen, obwohl sie an seinem Bett gesessen hatte. Da war ihr sofort der Verdacht gekommen, dass sich jene Benedicta hinter der falschen Brunhild verbarg.
Alisa behielt deshalb von ihrem Platz aus das Bett und den Schemel, auf dem Brunhild mit dem Rücken zu ihr saß, im Blick. Natürlich hoffte sie insgeheim, dass ihr Verdacht sich als unbegründet erwies. Wenn er doch bloß bald wieder aufwachen würde!, dachte Alisa. Da hob er den Kopf. Ein Strahlen huschte über sein abgekämpftes Gesicht. Ein Gesicht, bei dessen Anblick Alisa warm ums Herz wurde. Sie liebte ihn. Trotz seines schändlichen Verrates an ihr. Sie betete, alles möge sich als bedauerlicher Irrtum herausstellen. Vielleicht war sie seine Schwester oder …
»Benedicta«, flüsterte er zärtlich. »Benedicta …«
Die junge Frau nahm die Hand, die er ihr entgegenstreckte, und drückte sie sanft.
»Ich lasse dich nie wieder los, mein Lieb. Wir gehen zusammen auf die Burg. Als Mann und Frau. Dort kann uns keiner etwas anhaben.« Seine Stimme war eine einzige Verheißung der Liebe.
Als Mann und Frau! Alisa wurde übel. Sie hatte genug gesehen und versuchte, gegen die Tränen anzukämpfen. Es tat so weh. Und nicht nur das Wissen, dass Julian eine andere liebte, wollte ihr schier das Herz brechen, sondern auch die Erkenntnis, dass Brunhild oder Benedicta, wie sie wirklich hieß, sie so übel hintergangen hatte. Wir hätten Freundinnen werden können, dachte Alisa, während sie über die Treppe nach unten schlich.
Als sie außer Hörweite war, brach sie in ein lautes Schluchzen aus. Ein Klopfen an der Haustür riss sie aus ihrer Verzweiflung. Mit dem Ärmel des Unterkleides wischte sie sich über das Gesicht und öffnete die Tür.
Vor ihr stand Konstantin von Ehrenreit. Er war in heller Aufregung. »Wisst Ihr, wo die junge Lebküchnerin steckt? Ich muss sie dringend sprechen. Sie befindet sich in großer Gefahr. Ich habe in jedem Bäckerhaus der Stadt nach ihr gefragt. Vergeblich. Sie muss vorerst die Stadt verlassen …« Er stockte. Jetzt erst bemerkte er Alisas versteinerten Blick.
»Macht Euch keine Sorge um Schwester Benedicta. Sie ist in besten Händen.«
»Ihr wisst Bescheid?«
»Ja, ich kenne die ganze Geschichte«, log Alisa.
»Da bin ich aber erleichtert, dass die Lügen ein Ende haben. Mein Onkel hat mir berichtet, dass ihre Familie sie verfolgt und dass sie dem Provinzial übergeben werden soll. Ich werde sie aus der Stadt bringen, denn ich bin mir nicht sicher, wie er entscheidet, wenn er unter Druck steht. Am liebsten würde er ja leugnen, dass eine Nonne mit einem Mann aus dem Kloster flüchtete. Kann ich zu ihr? Ich will keine Zeit verlieren und werde sofort mit ihr zur Burg reiten. Dort ist sie in Sicherheit …«
»Macht Euch keine unnötige Mühe. Euer Bruder wird sie zur Burg bringen«, unterbrach Alisa ihn scheinbar ungerührt.
»Mein Bruder?«
»Ja, er wurde heute von Kriegern des Burggrafen verwundet hergebracht. Er hat in Döffingen gekämpft. Er rief nach einer Schwester Benedicta, und wie ich eben miterleben durfte, liebt er diese Frau, die gerade an
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