Die Lebküchnerin
zuzuwerfen. Ihr Atem ging schwer.
»Nein!«, keuchte sie. »Nein!«
Schließlich nahm sie all ihren Mut zusammen und betrat die Backstube. Am Boden vor dem Ofen lag Anselm auf dem Rücken und starrte sie aus weit geöffneten Augen entsetzt an. Das Blut floss ihm in Strömen aus der Brust. Der Dolch steckte noch in seinem Herzen.
Benedicta wandte sich ab, um die aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken. Als sie sicher war, dass sie sich nicht erbrechen musste, stellte sie sich erneut dem grausamen Bild, das sich ihr bot.
»Das kann doch nicht sein«, murmelte sie. »Wir haben doch gestern Abend noch gemeinsam gespeist. Du hast geschworen, mich zu beschützen, wenn man mich holen will. Und nun ersäufst du in deinem eigenen Blut. Wer hat dir das bloß angetan?«
»Meister Burchard«, hörte sie von ferne Gieselberts Stimme flüstern. »Ich habe ihn fortlaufen sehen. Dafür wird er büßen.«
In diesem Augenblick sprang die Tür auf, und Meister Burchard stand leibhaftig in der Backstube. In der Hand einen zweiten Dolch.
»Bitte, verschone uns!«, bettelte Gieselbert.
»Du Wurm, was kümmert mich dein Schicksal?«, schrie der Alte und deutete höhnisch auf Anselms Körper. »Der Narr, er hätte nur meine Tochter zu heiraten brauchen. Stattdessen hat er sie in den Wahnsinn getrieben.«
Die Hände in die Hüften gestemmt, trat Benedicta dem Tobenden drohend entgegen. Sie hatte keine Angst vor ihm. »Deine Tochter war nicht von Sinnen. Sie gab nur vor, dem Wahnsinn verfallen zu sein, um sich mildernde Umstände zu erschleichen. Sie war voller Rachegelüste, weil Anselm sie verschmähte und sein Vater es zuließ, dass er eine andere heiratete. Sie hasste Agnes, weil Anselm sie liebte, und mich, weil ich Agnes’ Freundin war.«
»Du lügst, du dummes Weib. Du und das andere Bettelweib, ihr habt das Unglück über unsere Familien gebracht. Ohne euch würden wir hier noch in Frieden leben. Aber ich lasse meine Tochter nicht allein. Ich werde zu ihr in die Hölle hinunterfahren und ihr berichten, dass auch Anselm seine gerechte Strafe bekommen hat. Ich werde dafür sorgen, dass auch Anselm in der Hölle schmort.«
Mit diesen Worten umfasste Burchard den Dolch mit beiden Händen und stieß ihn sich mit voller Kraft in den Leib. Wie ein verletztes Tier schrie er auf, als er zu Boden sank und auf Anselms Leichnam fiel. Frisches Blut sprudelte aus seinem Körper. Doch sein Schreien wurde immer leiser, bis er nur noch röchelte.
Fassungslos wurden Benedicta und Gieselbert Zeugen seines langsamen Sterbens. Immer wieder, wenn sie glaubten, nun sei er endlich tot, entrang sich seiner Kehle ein weiteres Röcheln.
Plötzlich waren fremde Stimmen zu hören. Als Benedicta sich umsah, bemerkte sie, dass die Nachbarn herbeigeströmt kamen und neugierig die Hälse reckten. Die ersten drängten sich in die Backstube, die ganz plötzlich einem Hexenkessel glich.
In diesem Augenblick begriff Benedicta, dass sie keine Zeit mehr verlieren durfte und auf der Stelle die Stadt verlassen musste. Die schändliche Tat lockte immer mehr Schaulustige an. Und wo sich viele Menschen versammelten, war mit Sicherheit ihre Stiefmutter nicht weit.
Benedicta nahm Gieselbert, der noch immer wie betäubt auf die beiden toten Bäcker blickte, zur Seite.
»Sag deinem Vater, dass Anselm mit seinen letzten Worten angeordnet hat, dass du sein Nachfolger wirst.«
»Aber er war doch schon tot«, widersprach Gieselbert mit bebender Stimme.
»Bitte tu mir den Gefallen! Sag es deinem Vater so und nicht anders, wenn ich fort bin.«
»Aber du kannst doch nicht einfach weggehen! Ich brauche dich.« Der Junge weinte jämmerlich.
»Du hast so oft den Teig gerührt. Du wirst es schon schaffen, doch ich muss mich sputen und noch heute die Stadt verlassen.«
Gieselbert klammerte sich an ihrem Kleid fest, aber sie befreite sich vorsichtig. Immer mehr Menschen strömten zum Bäckerhaus. Sie spürte, dass ihr wenig Zeit blieb.
Benedicta warf Anselm einen letzten Blick zu, bevor sie in ihre Kammer eilte und ihr Bündel packte. Erst das klägliche Schreien des Kindes, das aus Anselms Kammer drang, machte ihr bewusst, dass Leon ja jetzt allein auf der Welt war. Aber was sollte sie tun? Das Kind seinem Schicksal überlassen? Dann würde man es in ein Haus für arme Waisen bringen. Nein, das konnte und durfte sie nicht zulassen.
Benedicta hastete zu dem schreienden Kind und versuchte es zu beruhigen, aber es half alles nichts. Zu guter Letzt machte sie den
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