Die Lebküchnerin
Oblaten!«
»Und woher sollen wir die Oblaten nehmen?«, fragte Agnes skeptisch.
»Für den ersten Versuch holen wir welche aus der Kirche, und wenn es wirklich gelingt, dann stellen wir selbst welche her.«
»Ich hoffe, es gelingt«, jammerte eines der Küchenmädchen, das gerade dabei war, mit den Fingernägeln die Teigreste aus dem Ofen zu kratzen.
»Wartet, ich bin gleich wieder da. Ich hole die Oblaten«, erklärte Benedicta entschlossen. Inzwischen glaubte sie wieder an den Erfolg. Oblaten waren so staubtrocken, dass sie mit Sicherheit nicht im Ofen festklebten.
»Du gehst nicht!«, widersprach Agnes ihr mit schneidender Stimme.
Benedicta sah die Freundin erschrocken an. »Du glaubst nicht daran, oder?«, fragte sie verzagt.
Agnes lachte. »Und ob ich daran glaube. Ich halte es nur für gefährlich, wenn du dich in der Kirche blicken lässt. Du solltest doch in deiner Zelle schmoren! Schon vergessen? Außerdem weiß ich, wo die Oblaten lagern und wie man sie herstellt, weil Schwester Gertrude mich stets zur Hilfe holt, wenn sie wieder Oblaten backen muss. Außerdem weiß ich, wo sie ihr Hostieneisen aufbewahrt.«
Benedicta musterte die Freundin zweifelnd. »Ich möchte keine von euch in Gefahr bringen. Wenn die Sache herauskommt, wird man euch als Diebsgesindel brandmarken.«
»Verlass dich auf mich. Mich erwischt schon niemand. Und schließlich muss doch jemand Oblaten herstellen, wenn der Versuch gelingt«, erwiderte Agnes schmunzelnd und machte sich, ohne eine Antwort abzuwarten, auf den Weg zur Sakristei.
Benedicta missfiel es, dass Agnes sich unnötig dieser Gefahr aussetzte, aber andererseits wollte sie unbedingt erfahren, ob die Lebkuchen wirklich besser gelangen, wenn der Teig auf die Oblaten gegossen wurde. Und sie war froh, dass die Freundin sich mit dem Herstellen von Oblaten auskannte.
Wenig später kehrte Agnes mit hochroten Wangen und zwei Händen voller Oblaten zurück. Sofort machten sich alle ans Werk. Es war gar nicht so leicht, nur so viel Teig auf eine Oblate zu streichen, dass er ihnen nicht an allen Seiten davonfloss. Nachdem sie alle Vierecke zu kleinen, runden Küchlein geknetet hatten, waren sie bereits geübt, und es ging ihnen fast wie von selbst von der Hand. Nun galt es nur noch zu warten.
8
Die Küchenmädchen schliefen auf dem Boden, während Benedicta und Agnes abwechselnd alle Augenblicke zu den runden Lebkuchen schlichen und mit der Fingerspitze darauf herumdrückten.
Es war Benedicta, die nach vielen Stunden erleichtert ausrief: »Es ist, als ob sie fertig wären. Ich glaube, wir können es wagen.«
Agnes wollte gerade die Küchenmädchen wecken, als Benedicta ihr zuflüsterte: »Lass sie schlafen! Wenn alles gelingt, dann brauchen wir sie Tag und Nacht, bis der Bote aus Nürnberg kommt und seine Lieferung abholt.«
Benedicta wollte erst einmal nur Lebkuchen für sich, Agnes und die Mädchen backen und dann, wenn sie mit dem Ergebnis zufrieden wäre, die Fastenspeise für die Schwestern. Da hörte sie die Glocken der Kirche zur vierten Nachtstunde schlagen. Erschrocken blickten sich die Freundinnen an.
»Wenn die Lebkuchen zur achten Nachtstunde auf den Tisch der Schwestern kommen und ihnen nicht den Mund verbrennen sollen, müssen wir es wagen, alle auf einmal zu backen«, stellte Benedicta seufzend fest.
Agnes nickte und machte sich an die Arbeit und schob sämtliche Lebkuchen in den Ofen. Gespannt hockten sie sich auf den Boden, fest entschlossen, das Ergebnis im Wachen abzuwarten, doch schließlich nickten sie abwechselnd ein.
Benedicta erwachte aus einem kurzen Schläfchen, als Agnes aufgeregt rief: »Sie sind fertig!«
Damit weckte sie auf einen Schlag auch alle Küchenmädchen. Die kamen neugierig herbei und beobachteten gebannt Benedicta. Die aber traute sich kaum zuzugreifen.
Mit zittrigen Händen holte sie schließlich den ersten duftenden Lebkuchen aus dem Ofen und hielt ihn triumphierend hoch. Er sah wunderschön aus. Sie nahm einen herzhaften Bissen und rief noch mit vollem Mund aus: »So lassen sich Oblaten essen!«
Dann forderte sie die Küchenmädchen auf, ebenfalls je einen fertigen Lebkuchen zu probieren.
Es folgte ein einvernehmliches Schmatzen. Und dann stimmten sie fast gleichzeitig den Lobgesang auf das köstliche Gebäck an. Und keine von ihnen beschwerte sich, dass sie nach der kurzen Ruhe auf dem Küchenboden gleich wieder arbeiten musste. Im Gegenteil, sie priesen diese Kuchen, während sie sich eifrig nachnahmen.
»Gut, gut,
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