Die Lebküchnerin
Jesus verheiratet hatte?
Es klopfte, und ohne eine Antwort abzuwarten, trat seine Tante in die Gästekammer, die prächtiger ausgestattet war als jeder andere Wohnraum des Klosters. Sogar ein Himmelbett lud zum weichen Schlafen ein.
Julian zuckte ein wenig zusammen, weil er sich ertappt fühlte. Hoffentlich erriet sie seine Gedanken nicht, die sich, wie schon so oft, um Tante Leonores Geheimnis drehten. So manches Mal war er versucht gewesen, sie zu fragen, was es mit ihrem Ritter auf sich gehabt hatte, aber Tante Leonore war keine Frau, der man ungestraft persönliche Fragen stellen durfte. Sie konnte sehr abweisend sein und ließ sich auch niemals von ihm umarmen. Trotzdem bestand zwischen ihnen seit seiner Kindheit eine enge Verbindung, der sich beide nicht entziehen konnten.
Wortlos stellte die Tante ihm eine Schüssel hin. Er durfte natürlich nicht mit den Schwestern bei Tisch sitzen. So brachte sie ihm das karge Morgenmahl, nachdem die Schwestern schon in aller Herrgottsfrühe ihre Fastenspeise eingenommen hatten.
»Sagt lieber gleich, ob es die Pfefferkuchen sind, die Ihr mir vorgestern brachtet. Dann übe ich freiwilligen Verzicht«, sagte er belustigt, während er ein Gebäckstück herausnahm und, ohne eine Antwort seiner Tante abzuwarten, vorsichtig hineinbiss.
»Köstlich! Was ist das?«, rief er aus.
Das Gesicht der Tante verfinsterte sich, und sie erwiderte ausweichend: »Es muss aufgegessen werden.«
Julian blickte verzückt drein, als er sich den würzig süßen Geschmack genüsslich auf der Zunge zergehen ließ. »Oh, Tante, das ist ja eine Verführung der Sinne! Und so etwas esst Ihr zur Fastenzeit im Kloster? Das ist doch viel zu süß für die Bräute Christi.« Er sah sie schelmisch an und fuhr mit dem Schwärmen fort. »Warum gibt es derlei Naschwerk nicht in Nürnberg? Es mundet so himmlisch gut.« Wohlig seufzend griff er nach einem weiteren Lebkuchen.
Leonore fuchtelte ihm bedrohlich mit dem Finger vor der Nase herum. »Mein lieber Junge, lob sie nur ja nicht in den Himmel! Zugegeben, sie schmecken wirklich gut. Da gebe ich dir recht, aber die Schwester, die das Rezept erfunden hat, schmort in ihrer Zelle, weil sie nicht befugt war, in der Küche zu stehen.«
»Ach, liebe Muhme, Ihr seid doch eigentlich gar nicht so streng. Belobigt sie, statt sie zu strafen!« Mit diesen Worten griff er noch einmal gierig zu.
»Mir sind die Hände gebunden. Ich weiß nicht mehr, was ich mit ihr anfangen soll. Im Grunde genommen ist sie ohne Arg und tief im Herzen auch gottesfürchtig, aber sie hat nun einmal gelobt, im Dienst des Herrn zu stehen.«
Plötzlich schwante Julian etwas. Fragend sah er seine Tante an. »Ist zufällig die Rede von Schwester Benedicta?«
Tante Leonore nickte stumm, aber dann fuhr sie ihn gleich an. »Versuch ja nicht wieder, sie in Schutz zu nehmen oder ihr Verhalten zu entschuldigen. Sie ist widerspenstig und fern davon, ihrem Herrn in Demut zu dienen …«
Lächelnd unterbrach Julian die Priorin. »Liebe Muhme, ich will es nicht an Ehrerbietung mangeln lassen, aber wie ich hörte, wart Ihr, als man Euch mit siebzehn Jahren ins Kloster brachte, auch nicht allzu bereit, dem Herrn zu dienen.«
Leonores feines, blasses Gesicht lief tiefrot an. »Wie kommst du dazu, so dummes Zeug zu reden?«, rief sie aufgebracht.
Julian zuckte zusammen. Seine Tante war eine gestrenge Frau, keine Frage, aber sie pflegte selten laut zu werden, geschweige denn zu fluchen.
»Entschuldigt, Muhme, ich weiß auch nicht, warum mir das herausgerutscht ist. Es war, es war …«
Julian suchte nach den richtigen Worten, um davon abzulenken, dass er sehr wohl wusste, was ihn zu dieser frechen Bemerkung hatte hinreißen lassen.
Leonore aber blickte ihn durchdringend an. »Wer behauptet das?«
Julian wusste vor lauter Verlegenheit nicht, wohin er blicken sollte. Er zog es vor, das Thema zu wechseln, indem er noch einmal herzhaft in den Lebkuchen biss und den Geschmack in den höchsten Tönen lobte.
»Wer?«, unterbrach ihn mit schneidender Stimme die Tante.
Es hatte keinen Sinn, noch länger Ausflüchte zu gebrauchen. »Vater hat bei meinem letzten und nicht unbedingt erfreulichen Besuch auf der Burg wieder einmal einen derben Scherz gemacht, als ich ihm Eure Grüße ausrichtete.«
Statt etwas zu erwidern, wurde Leonore weiß um die Nase.
»Ihr kennt Vater doch«, beeilte sich Julian zu sagen.
Leonore nickte versonnen, doch dann fügte sie scharf hinzu: »Sag so etwas niemals wieder!«
Er
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