Die Lebküchnerin
zusammen.
Was hatte sie nur geträumt? Sie konnte sich zunächst nur schwach daran erinnern, doch dann stand alles wieder zum Greifen nahe vor ihrem inneren Auge. Nicht der Herr war ihr im Traum erschienen, sondern ihr Vater. Wie gütig er sie angesehen und wie eindringlich er auf sie eingeredet hatte! Ihr Herzschlag beschleunigte sich, denn nun hörte sie jedes seiner Worte, als stünde er leibhaftig neben ihr. Mein Kind, ich habe nicht gewollt, dass du dein Leben im Kloster verbringst. Ich schätze die ehrwürdigen Schwestern hoch, aber du, du bist aus anderem Holz geschnitzt. Du gehört in das Leben dort draußen. Hadere nicht länger mit deinem Schicksal. Geh hinaus und lebe deine Bestimmung.
Über seinem kahlen Haupt hatte eine Sonne geleuchtet. So hell, dass sie Benedicta im Schlaf erwärmt hatte.
»Vater!«, schluchzte sie. »Vater!«
Mit einem Mal hielt sie inne und erschauderte. Das war kein bloßer Traum, dachte sie aufgeregt, das war eine Botschaft vom Herrn dort oben. Nur er allein weiß, dass ich ihm in meiner Zelle nicht dienen kann.
Mit pochendem Herzen setzte sie sich kerzengerade auf. Ihre Berufung war eine gänzlich andere als die ihrer Mitschwestern, und sie hatte eine Vision: eine Lichtung mitten im Wald. Das Sonnenlicht scheint auf das Moos am Boden und bringt es zum Leuchten. Mit bloßen Füßen steht sie, Benedicta, auf dem Waldboden und dreht sich im Kreis. Schnell und immer schneller. Die wallenden dunklen Locken wehen ihr um den Kopf und strahlen in der Sonne plötzlich golden …
Benedictas Atem beschleunigte sich. Sie hielt die Hände wie im Gebet gefaltet. Mit Gottes Hilfe würde sie einen Weg finden, die Mauern von Engelthal zu überwinden, denn dort draußen wartete das wahre Leben auf sie.
Schluchzend kniete sie vor ihrem Lager nieder und dankte dem Herrn für diese Botschaft, die er ihr – dessen war sie sich sicher – niemals gesandt hätte, wenn sie stur dem Versprechen ihres Gelübdes und nicht der Stimme ihres Herzens gefolgt wäre.
Doch so inniglich sie den Herrn anflehte, ihr den Weg aus diesen Mauern hinaus zu weisen – in der klammen Kammer und vor allem in ihrem Innern herrschte mit einem Mal eine zermürbende Stille. Schließlich zweifelte sie daran, ob sie den Traum auch wirklich richtig gedeutet hatte.
Traurig legte sie sich auf ihr Bett zurück und versuchte, an etwas Schönes zu denken, aber ihr wollte beim besten Willen nichts anderes einfallen als das zerknitterte Gesicht Walburgas, deren kleine Augen sie lauernd verfolgten. Noch keine Schwester hat es je gewagt, ihr Gelübde zu brechen, hörte Benedicta die brüchige Stimme der alten Nonne flüstern. Noch keine. Hast du gehört? Keine!
Benedicta hielt sich die Ohren zu und wälzte sich von einer Seite auf die andere, aber die Stimme in ihrem Innern wurde nicht müde, ihr zu bekräftigen, dass es kein Entrinnen aus dieser Hölle gab. Dabei hatte Walburga diese Worte nie wirklich ausgesprochen. Es war zum Verzweifeln. Jetzt hörte sie schon Stimmen, die es gar nicht gab.
Plötzlich erstarrte sie. Träumte oder wachte sie? Wieder meinte sie, in der Ferne den Fechtmeister sprechen zu hören. Genauso wie in der Nacht zuvor, doch dann war alles still.
Ja, jetzt höre ich schon Stimmen, die es gar nicht gibt!, dachte Benedicta beklommen.
12
Fechtmeister Julian von Ehrenreit weilte nun bereits seit vier Tagen und Nächten im Kloster Engelthal. In einer Kammer weitab von den Zellen der Schwestern und dem Gemach seiner Tante erholte er sich von einer kleinen Verletzung am Arm, die er sich bei seinem Unterricht auf dem Fechtboden zugezogen hatte. Einer seiner Schüler hatte mit einem Schwert sehr ungeschickt hantiert. Julian marterte sich seitdem mit der Frage, ob er wirklich der richtige Mann war, den verwöhnten Söhnen der Nürnberger Geschlechter den Umgang mit dem Schwert beizubringen.
Er war froh, dass seine Tante gerade in Nürnberg gewesen war und er mit ihr gemeinsam nach Engelthal hatte reiten können. Seinetwegen hatte sie sogar ihren Besuch im Katharinenkloster abgebrochen. Sie war der festen Überzeugung, dass die Wunde nur mittels ihrer besonderen Kräutermischung zu heilen war. Daran hegte Julian zwar leise Zweifel, aber es schmeichelte ihm, wie rührend sie sich um ihn kümmerte. Er genoss die Abgeschiedenheit des Klosters, denn dies kam seinem Bedürfnis nach Ruhe entgegen. Zu viel ging ihm in den letzten Tagen durch den Kopf. War er wirklich ein guter Fechtmeister geworden, oder war dieser
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