Die Lebküchnerin
Diese Zurschaustellung ihrer Ehrerbietung schien so überzeugend, dass nun auch der Provinzial auf die Knie fiel und zu Gott betete.
Leonore atmete auf. Keiner außer ihr hatte einen Blick auf das Schnittwerkzeug erhaschen können, mit dem sich Dietlinde selber verstümmelt hatte. Kein Wunder, dass sie so bleich ist, dachte die Priorin ungerührt, es wird sicher ganz entsetzlich geschmerzt haben.
»Wie geht es Euch, ehrwürdige Schwester?«, fragte der Dominikaner die Betrügerin und nahm ergriffen ihre Hand, um das Wundmal zu küssen.
»Gut«, hauchte Schwester Dietlinde und genoss ganz offensichtlich den Rummel, der um sie veranstaltet wurde.
»Macht es Euch etwas aus, wenn ich den Burggrafen an Euer Lager bestelle?«, fragte der Provinzial begeistert. »Es wird nämlich allerhöchste Zeit, dass wieder einmal ein Wunder in Engelthal geschieht.«
»Ja, lasst ihn an mein Lager treten und sich von den Wunden des Herrn mit eigenen Augen überzeugen«, entgegnete Dietlinde eine Spur zu lebendig, wie Leonore fand. Ihr fehlt das rechte Maß an Entrücktheit, dachte sie. Sie befürchtete, dass der Provinzial ihr doch noch auf die Schliche kommen und sich dann erbost auf die Geschichte mit der unkeuschen Nonne stürzen würde. Und das durfte auf keinen Fall geschehen! Leonore hoffte nämlich, dass das neue Wunder von Kloster Engelthal alles andere unwichtig und klein erscheinen lassen würde. So unwichtig, dass er die Verfehlung der Schwester schlichtweg vergessen würde.
Ihre Hoffnung wurde jäh zerstört, nachdem sie die Zelle der Nonne wenig später zusammen mit dem Provinzial verlassen hatte. Noch auf dem Flur blieb er stehen und sah sie prüfend an.
»So, liebe Leonore, nun erzählt mir, ob die Geschichte mit der unkeuschen Nonne wahr ist. Ich denke, wir sollten sie und auch den jungen Mann ins Gebet nehmen, um uns ein eigenes Urteil zu bilden.«
»Ja, das sollten wir wohl«, entgegnete die Priorin tonlos.
Der Provinzial rieb sich die Hände. »Das kommt mir gar nicht ganz unpassend. Stellt Euch vor, wir feiern einerseits eine neue stigmatisierte Schwester, und andererseits vollziehen wir eine gerechte Strafe an einer ungehorsamen Schwester. Das ist sogar sehr gut für unseren Ruf, wird doch zurzeit überall geklagt, dass in den Klöstern zunehmend ein Verfall der Sitten Einzug hält. Wenn wir unsere Schwester hart bestrafen, werden viele besorgte Väter ihre Töchter zu uns bringen und nicht mit dem Vermögen geizen, das sie uns geben, damit sie bei uns wohl aufgehoben sind. Was meint Ihr, wir könnten sie verbannen oder …«
»Ehrwürdiger Provinzial, wir tun uns keinen Gefallen, wenn man uns der Grausamkeit bezichtigt. Und ich weiß nicht, ob eine unkeusche Nonne überhaupt gut für unser Ansehen ist. Vielleicht sollten wir einfach darüber hinweggehen.«
Nachdenklich rieb sich der Provinzial das Kinn.
»Ihr habt recht. Eine unkeusche Nonne können wir zurzeit gar nicht gebrauchen. Das schädigt unseren guten Ruf. Wir müssen es also geschickter anstellen. Ja, wir müssen uns ihrer unauffällig entledigen, denn behalten können wir sie natürlich nicht.« Sein Gesicht erhellte sich. »Was haltet Ihr davon, wenn wir die beiden fliehen und auf der Flucht von den Knechten erlegen lassen?«
»Ehrwürdiger Provinzial, sie sind kein Wild!«, erwiderte Leonore voller Empörung. Zu ihrem großen Entsetzen lachte der Provinzial laut auf.
»Verehrte Priorin, seit wann seid Ihr so zart besaitet? Ihr müsst doch zugeben, dass wir großen Zulauf an neuen Schwestern zu erwarten hätten, würden wir die Schwester, die ihr Gelübde bricht, samt ihrem Verführer unauffällig aus der Welt schaffen. Und andererseits könnten wir ein Wunder im Kloster vorweisen. Und großer Zulauf bedeutet große Mitgift.« Allein bei dem Gedanken rieb er sich befriedigt die Hände.
»Ja, schon«, entgegnete Leonore zögernd. »Aber Ihr sollt wissen, dass es sich bei der Beschuldigten um jene Schwester handelt, die die köstlichen Lebkuchen zubereitet. Und auch diese dienen zurzeit dem guten Ruf unseres Klosters.«
»Oh!«, entfuhr es dem Provinzial. »Da kann ich nur hoffen, dass sich der Verdacht als unbegründet erweist. Müssten wir sie weit fortbringen, aus dem Orden ausschließen oder gar auf der Flucht vom Pfeil einer Armbrust durchbohren lassen, täte mir das unendlich leid. Wir haben alles in die Wege geleitet, um ihre Lebkuchen demnächst auch auf dem Markt zu verkaufen. Und wer ist der junge Mann?«
»Es ist der
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