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Die Lebküchnerin

Die Lebküchnerin

Titel: Die Lebküchnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sybille Schrödter
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Besuches?«, fragte sie übertrieben erstaunt. »Ihr seid sicher gekommen, um das Wunder der Dietlinde mit eigenen Augen zu beschauen.«
    »Wunder? Dietlinde?« Der Provinzial schien verwirrt.
    »Hat die frohe Botschaft Euch denn noch nicht erreicht?«, fragte sie betont ungläubig. »Wir haben doch schon vor Tagen einen Boten geschickt, der Euch das Wunder kundtun sollte.«
    Walburga wollte gegen diese offensichtliche Lüge der Priorin protestieren, doch diese warf der alten Schwester einen warnenden Blick zu.
    Der Provinzial schnaubte vor Entrüstung. »Nein, man hat uns keinen Bescheid gegeben. Wir erhielten lediglich die Nachricht, dass eine Schwester ihr Gelübde gebrochen und in Unkeuschheit …«
    »Hochverehrter Provinzial«, unterbrach Leonore ihn entschlossen und hakte sich vertraulich bei ihm unter, »was gilt schon Unkeuschheit gegen das Wunder der Wundmale Christi? Kommt, überzeugt Euch selbst!«
    Der Provinzial blieb unschlüssig stehen. Ihm schien diese vertrauliche Seite der sonst so gestrengen Priorin ein wenig unheimlich zu sein.
    »Kommt rasch! Es wäre doch eine große Ehre, würde Engelthal noch einmal zu dem Ruhm gelangen, den Christine Ebner unserem Kloster einst bescherte«, schmeichelte Leonore und forderte den Provinzial zum Mitkommen auf.
    Ein triumphierendes Lächeln huschte über dessen Gesicht. Die Aussicht auf ein Wunder in seinem Kloster stimmte ihn milde. Erfreut ließ er sich von der Priorin mitziehen, doch kaum hatte er seinen dicken Leib in Bewegung gesetzt, als Walburga ihm nachgelaufen kam und sich ihm in den Weg stellte.
    »Herr, ich bin die Schwester, die Euch die Botschaft überbrachte. Ich kann die Unkeuschheit unserer Mitschwester bezeugen. Hört mich an! Wollt Ihr denn nicht die ganze Wahrheit erfahren?«
    »Schwester Walburga, was erlaubt Ihr Euch?«, fuhr Leonore die Nonne an. Die wollte etwas erwidern, aber auch dem Provinzial missfiel dieses respektlose Benehmen gegenüber der Priorin offenbar zutiefst.
    Verärgert schnaubte er. »Schwester, bitte! Macht den Weg frei und geht mir aus den Augen. Ihr seht doch, dass die ehrwürdige Priorin und ich einem Wunder beiwohnen müssen. Wartet gefälligst, bis Euer Anliegen an der Reihe ist.«
    Mit diesen Worten machte der Provinzial einen großen Bogen um die wie zur Salzsäule erstarrte Walburga und ließ keinen Zweifel daran, dass sie ihn in diesem erhabenen Augenblick mit ihrer dummen Geschichte verschonen solle.

17
    Auf dem Flur vor Dietlindes Zelle lagerten bereits zahlreiche Schaulustige. Das Wunder hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Alle waren herbeigeeilt, um die Zeichen Gottes zu bestaunen. Von den Schwestern bis zu den Küchenmädchen. Vom Gärtner bis zum Pferdeknecht und vom Brauer bis zum Schweinehirten. Eigentlich durfte kein Fremder diesen Flügel des Klosters betreten, aber angesichts eines Wunders kümmerte sich keiner um klösterliche Regeln. Alle verlangten nach dem Segen der engelsgleichen Schwester.
    Als der Provinzial und die Priorin sich näherten, trat die neugierige Menge ehrfurchtsvoll zur Seite und bildete eine Gasse für die beiden Würdenträger.
    Blass und erschöpft lag Dietlinde auf ihrem Lager, die Hände auf der Bettdecke, sodass die Wundmale auf den Handrücken nicht zu übersehen waren. Die Priorin erschrak. Die Wunden sahen täuschend echt aus. Als sei ein Nagel durch die Hände gestoßen worden. Und doch überfielen Leonore die Zweifel an der Echtheit mit solcher Macht, dass ihr schlecht wurde bei dem Gedanken, man könne eine Engelthaler Schwester womöglich als Betrügerin entlarven. Und dann erblickte sie etwas Blutbeflecktes unter dem Bett hervorlugen. Damit hatte sie sich das Wunder also beigebracht!
    Leonore fühlte eine Ohnmacht nahen. Sie atmete tief durch und betete, dass der Provinzial das falsche Spiel der Schwester nicht so leicht durchschauen möge wie sie selbst. Als sie den Mann, dessen Atem vor Aufregung pfiff, mit einem Seitenblick streifte, schöpfte sie allerdings Hoffnung, denn verzückt starrte er auf die angeblichen Wundmale.
    Leonore nutzte seine Leichtgläubigkeit, um ihrerseits begeistert zu tun. Laut seufzend begab sie sich zum Lager der betrügerischen Schwester und versetzte dem verräterischen Werkzeug unauffällig einen Fußtritt, sodass es unter dem Lager verschwand. Unter lauten Lobpreisungen betastete sie die frischen Wunden und warf sich schließlich auf die Knie. Sie murmelte, scheinbar ergriffen von der Gnade des Herrn, Gebete vor sich hin.

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