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Die Lebküchnerin

Die Lebküchnerin

Titel: Die Lebküchnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sybille Schrödter
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doch niemals mehr aus dem Kloster entkommen und kann dir dein Vermögen nicht streitig machen. Genau diese Worte hatte sie der Schwester mit einem Gänsekiel auf das Pergament geschrieben. Adelheit war wie sie, Walburga, des Schreibens mächtig.
    Die Antwort ihrer Schwester hatte Walburga kalte Schauer über den Rücken gejagt. Ich habe schon vor dem Tod ihres Vaters geträumt, sie nähme mir eines Tages alles und würde mich wie einen räudigen Hund ertränken. Deshalb brachte ich sie ins Kloster. Und trotzdem träume ich es immer wieder. Ich weiß ja, dass sie hinter den Klostermauern leben und auch dort sterben wird. Und trotzdem bin ich erst frei von meinen Ängsten, wenn sie im kühlen Grab liegt. Aber da Du sie ja nimmer dazu bringen kannst, ihrem unwürdigen Leben ein Ende zu bereiten, werde ich weiter von diesen Träumen gequält, und sie werden immer schlimmer.
    Nun wird sie zwar nicht im Grab enden, aber hinter den unüberwindbaren Mauern eines dunklen Klosters im hohen Norden, aus dem es kein Entrinnen gibt, dachte Walburga und wunderte sich darüber, dass ihr der Gedanke so wenig Befriedigung verschaffte.
    Ihre Schwester hatte anfangs beteuert, das Mädchen sei bösartig. Walburga hatte ihr geglaubt, doch mittlerweile wagte Walburga diese Behauptung arg zu bezweifeln. Das Mädchen hatte ihr, wenn sie genau überlegte, noch nie etwas Böses angetan. Und wer so köstliche Lebkuchen backen konnte …
    Doch kaum waren Walburgas Gedanken wieder bei jener Demütigung angelangt, die ihr wegen der unkeuschen jungen Frau widerfahren war, flammte der alte Hass, den ihre Schwester einst gegen Benedicta gesät hatte, wieder auf. Diese widerspenstige junge Nonne war allein schuld daran, dass sie sich vor dem Provinzial lächerlich gemacht hatte. Weil keiner ihr, Walburga, Glauben schenken wollte, dass dieses Mädchen sein Gelübde gebrochen hatte.
    Dabei hatte sie es mit eigenen Augen gesehen. Wie die Tiere waren der Fechtmeister und die lüsterne Schwester übereinander hergefallen. Die Erinnerung daran ekelte und erregte sie zugleich. Ihre Leiber und Münder ineinander verschlungen.
    Je angestrengter Walburga mit geschlossenen Augen an diese Sünde dachte, desto verschwommener wurde das Bild. Schließlich spürte sie nur noch die Wollust, die von den beiden ausgeströmt war. Ihr wurde heiß, doch dann riss sie erschrocken die Augen auf.
    Sie musste unbedingt bei der Wahrheit bleiben. Zu lügen, wäre eine Sünde, aber was hatte sie wirklich gesehen?
    Hatten sie noch gestanden oder sich bereits auf der Erde gewälzt wie die Tiere? Waren sie angezogen gewesen, oder hatten sie sich bereits ihrer Kleidung entledigt?
    Wieder schloss Walburga die Augen und steigerte sich immer tiefer hinein in das vermeintlich Wahrgenommene. Und wieder wechselten sich Verlangen und Ekel ab, bis der Ekel die Überhand gewann.
    Mit einem Mal wurde das Bild wieder klarer. Sie hatten einander geküsst, was auch schon schlimm genug war, wie Walburga fand. Und dann hatte sie ihn fortgeschickt. Aber hatte sie ihm nicht zu verstehen gegeben, dass sie mit ihm flüchten würde? Ja, genau, das musste sie dem Provinzial unbedingt berichten!
    Walburga versagte sich, noch einmal an die beiden Sünder zu denken oder sich gar der Hitze ihrer Lenden hinzugeben. Wenn es ihr nicht gelänge, würde sie sich geißeln müssen!
    Walburga war so aufgewühlt, dass auch weiterhin nicht mehr an Schlaf zu denken war. Noch unruhiger als zuvor wälzte sie sich von einer Seite auf die andere. Schließlich erhob sie sich ächzend und quälte sich mit der Frage, was ihr wohl helfen würde, doch noch zur Ruhe zu kommen.
    Ihr fiel nur ein einziges Mittelchen ein. Jene köstlichen Lebkuchen! Einen einzigen nur, der ihr ein warmes Gefühl im Leib bereitete und dessen Süße sie schläfrig machte. Ein allerletztes Mal würde sie sich erniedrigen, indem sie bei Schwester Benedicta um eine milde Gabe bettelte.

19
    In einem anderen Flügel des Klosters betrat zur selben Stunde der junge Fechtmeister, noch verschwitzt vom schnellen Ritt, die Amtskammer seiner Tante. Er fand sie im Schein einer Fackel im tiefen Gebet versunken. Julian räusperte sich. Erschrocken fuhr Leonore herum. Auch er erschrak, als er ihr zerfurchtes Gesicht sah.
    »Muhme, was ist geschehen? Warum lasst Ihr mich holen, warum sollte ich sofort kommen – und warum bei Nacht? Ihr hattet Glück, dass die Tore der Stadt noch nicht geschlossen waren, als der Bote kam. Ich war der Letzte, der die Stadt verließ.

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