Die Lebküchnerin
Fechtmeister Julian von Ehrenreit«, erwiderte die Priorin seufzend.
»So, so!«, entfuhr es dem Provinzial, und er musterte Leonore stirnrunzelnd von oben bis unten.
»Ist das nicht der Sohn Eurer seligen Schwester?«, fragte er lauernd.
Leonore nickte.
»Deshalb hat sich diese Schwester sogleich an mich gewandt. Ich verstehe. Daher Euer Zögern. Dann werde ich wohl allein zu Gericht sitzen müssen über die jungen Leute. Schafft mir Euren Neffen unter einem Vorwand heran, aber flugs. Ihm wird nichts geschehen. Er soll nur Zeugnis ablegen und sich dann im Kloster niemals mehr blicken lassen. Und es versteht sich von selbst, dass Ihr kein Wort verlauten lasst. Ansonsten seid Ihr die längste Zeit Priorin gewesen.«
»Und wie verfahre ich mit Schwester Benedicta? Sie wird doch argwöhnisch, wenn ich sie nicht mehr in der Küche arbeiten lasse.«
»Die der Unkeuschheit beschuldigte Schwester lasst Ihr so lange unbehelligt Lebkuchen backen, bis ihr Liebhaber eingetroffen ist. Und sagt ihr, sie müsse gleich die doppelte Menge herstellen. Die lasst dann sogleich nach Nürnberg schaffen. Sie darf nicht erfahren, dass Euer Neffe kommt. Tut so, als wäre nichts geschehen, damit sie sich in Sicherheit wiegt. Und sorgt dafür, dass die Köchin und die Küchenmädchen ihr bei der Arbeit genau auf die Finger schauen. Wir brauchen das Rezept, falls die Schwester uns verlassen muss. Wenn Euer Neffe angekommen ist, sagt mir Bescheid, dann soll Schwester Walburga von Angesicht zu Angesicht mit den beiden wiederholen, was sie gesehen haben will. Und Gnade Gott, wenn ihre Aussage zutrifft!«
»Was hat sie denn überhaupt genau gesehen?«, fragte Leonore zögernd und betete, dass er das Zittern in ihrer Stimme nicht hörte.
»Was wohl?«, schnaubte der Provinzial. »Sie behauptet, dass die beiden … muss ich das denn wirklich vor Euch aussprechen?« Der dicke kleine Mann geriet mächtig ins Schwitzen.
Leonore aber wurde leichenblass. Sie ahnte in diesem Augenblick, dass Schwester Walburga durch nichts davon zu überzeugen war, ihre Aussage noch einmal zu überdenken. Im Gegenteil, sie neigte wohl eher dazu, schamlos zu übertreiben und Dinge zu beschwören, die Benedicta ewige Verdammnis oder die Verbannung an einen finsteren Ort einbringen würde.
»Aber … aber wann soll das gewesen sein? Es ist an die drei Wochen her, dass er mich zum letzten Mal in Engelthal besuchte«, versuchte Leonore Schwester Walburgas Glaubwürdigkeit zu erschüttern.
»Richtig, es soll am Tag seiner Abreise vorgefallen sein«, erwiderte er. »Aber nun schaut nicht so entsetzt! Den beiden wird nichts geschehen.«
Letzteres betonte er so überdeutlich, dass Leonore der falsche Zungenschlag beinahe den Atem nahm. Er hielt an seinem Plan fest, sie flüchten und aus dem Weg schaffen zu lassen. Dessen war sich Leonore sicher. Sie schluckte trocken und erkannte schmerzhaft, dass etwas Furchtbares geschehen würde, wenn sie nichts unternahm. Beim Gedanken an die Gefahr, in der die junge Nonne schwebte, erzitterte sie. Dennoch bemühte sie sich, einen kühlen Kopf zu bewahren, während ein Plan in ihr heranreifte.
»Ich lasse sofort nach meinem Neffen rufen. In spätestens zwei Tagen wird er eingetroffen sein. Ich für meinen Teil vermute allerdings, dass Schwester Walburgas Phantasie wieder einmal mit ihr durchgegangen ist. Ihr müsst wissen, dass sie gern übel über ihre Mitschwestern spricht, und so manche Beschuldigung hat sich hernach als völlig haltlos erwiesen. Es könnte leicht geschehen, dass wir uns lächerlich machen.«
Der Provinzial warf Leonore einen durchdringenden Blick zu. »Ich glaube kaum, dass sich eine Schwester in Walburgas Alter, die noch niemals an den verbotenen Früchten weltlicher Liebe genascht hat, sich so etwas Schändliches auszudenken vermag wie … Ehrwürdige Priorin, versucht Ihr nicht gerade, die Schwester in ein schlechtes Licht zu rücken, damit die beiden ungeschoren aus der Sache herauskommen, besonders Euer Neffe? So schändlich das Verhalten der jungen Schwester auch sein mag, aber seinetwegen wird sie uns in Zukunft womöglich nie mehr mit ihren herrlichen Lebkuchen beglücken können. Und dafür würde ich ihm gern einen Denkzettel verpassen, aber keine Sorge, ihm werde ich nichts anhaben.«
Sein Ton war scharf, und Leonore ahnte, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb, denn je eindringlicher er ihr versicherte, dass er Julian nichts antun werde, desto stärker wuchs in ihr die Gewissheit, dass er bei
Weitere Kostenlose Bücher