Die Lebküchnerin
kennen?«, fragte Benedicta erschrocken.
»Schweigt, Unglückliche!«, zischte die Priorin und fügte beschwörend hinzu: »Geht zu Agnes und fordert sie dazu auf, morgen in der Küche die Lebkuchen nach Eurem Rezept zu backen. So wie ich ihre Treue zu Euch kenne, verriete sie das Rezept ohne Eure ausdrückliche Erlaubnis sonst nicht einmal unter der Folter. Und dann werden sich alle fragen, warum der Fluss der allerseits geliebten Lebkuchen so plötzlich versiegt ist. Denn seid gewiss: Wenn Ihr erst einmal über alle Berge seid, wird der Provinzial so tun, als wäre niemals dergleichen in Engelthal vorgekommen. Aber wenn uns die Lebkuchen erhalten bleiben, wird das zumindest seinen Zorn ein wenig mildern.«
»Aber was soll Agnes denn denken, wenn ich sie nachts aufsuche?«, gab Benedicta zu bedenken.
Sichtlich verärgert stöhnte Leonore auf. »Lasst Euch etwas einfallen! Ihr seid doch sonst nicht um Ausreden verlegen. Natürlich werdet Ihr dem Mädchen kein Sterbenswort von Eurem Vorhaben verraten. Sagt ihr, Ihr seid krank, Ihr werdet morgen bestimmt daniederliegen, und deshalb darf sie die Lebkuchen nach Eurem Rezept backen. Nun hinfort! Wir haben keine Zeit zu verlieren. Noch liegen der Provinzial und seine Schergen berauscht auf ihrem Lager. Danach kommt sofort in meine Amtskammer geschlichen. Es ist zu gefährlich, wenn man uns zusammen sieht.«
Mit diesen Worten entfernte sich die Priorin auf leisen Sohlen. Benedicta aber lehnte sich erst einmal an die Mauern des Kreuzgangs. Das Herz pochte ihr bis zum Hals. Sie konnte kaum fassen, wie gut das Schicksal es mit ihr meinte, und war sich nun ganz sicher, dass der Herr da oben seine Hände im Spiel hatte. Ein klein wenig bedauerte sie allerdings, in Zukunft nicht mehr den köstlichen Teig kneten und den würzigen Duft einatmen zu dürfen, wenn das Gebäck aus dem Ofen kam. Ich werde Julian Lebkuchen backen, nahm sie sich vor und errötete bei dem Gedanken, dass sie ja in Zukunft mit dem Fechtmeister unter einem Dach leben würde. Das aber konnte und wollte sie sich in diesem Augenblick lieber noch gar nicht so recht vorstellen, denn es löste mehr Angst als Freude in ihr aus.
20
Zusammen mit den Küchenmädchen schlief Agnes in einem düsteren Schlafsaal. Beim Betreten des großen Raumes fragte sich Benedicta, in welchem der vielen Betten die Freundin wohl nächtigte. Zum Glück fiel ein Mondstrahl durchs Fenster, und sie erkannte schemenhafte Umrisse.
Auf leisen Sohlen näherte sich Benedicta dem vorderen Bett. Ein feuerroter Schopf lugte unter dem Laken hervor. Theresa, schloss Benedicta daraus und schlich zum nächsten Lager, auf dem unverkennbar ihre Freundin schnarchte.
»Agnes!«, raunte Benedicta ihr ins Ohr. »Agnes!«
Die Antwort war ein widerwilliges Knurren, bevor sich die Freundin auf die andere Seite warf. Es half nichts. Benedicta beugte sich hinunter und schüttelte sie leicht. Wie vom Blitz getroffen, schoss Agnes hoch, riss die Augen auf und stieß einen spitzen Schrei aus.
Benedicta presste ihr die Hand auf den Mund. »Ich bin es, Benedicta«, flüsterte sie, bevor sie den eisernen Griff lockerte. Während sich die Freundin von ihrem Schrecken erholte, blickte sich Benedicta ängstlich um. Alles blieb still. Sie atmete auf. Keiner schien Agnes’ Aufschrei gehört zu haben.
»Was willst du denn hier mitten in der Nacht?«, fauchte Agnes, nicht eben begeistert über den nächtlichen Besuch.
»Ich muss dich schnell um etwas bitten. Wenn du morgen in die Küche gehst, dann back die Lebkuchen nach unserem Rezept, auch wenn ich am morgigen Tag nicht in die Küche komme. Hörst du? Und wenn die Priorin dich nach dem Rezept fragt, dann gibst du es ihr, damit sie es aufschreiben kann. Sollte eine andere Schwester als ich fortan die Aufsicht über die Lebkuchen führen, dann arbeite Seite an Seite mit ihr, so wie du es mit mir getan hast.«
»Ich kenne das Rezept doch gar nicht«, erwiderte Agnes trotzig.
»Doch, ab morgen kennst du es. Ich bitte dich darum. Das musste ich versprechen, wenn ich fort …« Benedicta stockte und fuhr verlegen fort: »Mir ist wichtig, dass die Lebkuchen gebacken werden, auch wenn ich morgen nicht komme.« Sie wandte den Blick ab. Es fiel ihr schwer, der Freundin ihre Flucht zu verheimlichen.
»Warum solltest du nicht kommen?«, fragte Agnes misstrauisch.
Benedicta stieß einen tiefen Seufzer aus und zögerte, der Freundin frech ins Gesicht zu lügen. »Ich bin krank«, erklärte sie dann jedoch atemlos. »Der
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