Die Lebküchnerin
fest. »Du bleibst hier und verhältst dich ruhig. Ich erledige das. Und solltest du Zweifel hegen, ob du sie wirklich genug liebst, dann ist es jetzt zu spät. Das hättest du dir überlegen müssen, bevor du sie verführt hast. Du stehst in der Pflicht.«
Mit diesen Worten ließ die Priorin Julian allein in ihrer Kammer zurück. Alle paar Schritte auf dem Weg zu Benedictas Zelle blieb sie stehen und horchte, ob ihr jemand folgte. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie wusste, dass sie große Schuld auf sich lud, aber das Mädchen und vor allem ihren geliebten Julian den ehrgeizigen Bestrafungsplänen des Provinzials auszuliefern, nein, das brachte sie nicht übers Herz. Und es gab noch einen weiteren Grund, warum sie jetzt handeln musste. Nicht auszudenken, was geschähe, wenn die junge Frau bereits eine Frucht der Liebe unter dem Herzen trug. Wenn es zu spät war. Wie damals bei ihr. Diese Seelenpein konnte und wollte sie diesem Menschenkind nicht zumuten. Und auch ihm nicht. Wenigstens er sollte seine Liebe leben dürfen. Hoffentlich ist er so mutig, wie ich glaube, hoffentlich liebt er sie so sehr, dachte sie mit bangem Herzen. Am ganzen Körper zitternd blieb sie vor Benedictas Zellentür stehen.
Als ich Julian die Fluchtpläne auseinandersetzte, verhielt er sich nicht gerade wie ein Held, schoss es ihr besorgt durch den Kopf. Was nützt mir mein kühner Plan, wenn Julian zu feige ist, ihn auszuführen? Was geht nur in seinem Kopf vor? Er lässt sich doch sonst nicht so leicht verunsichern. Bin ich nicht immer stolz gewesen auf seinen unbeugsamen Willen und seinen sagenhaften Mut?
Die Priorin atmete noch einmal tief durch und betrat dann eilig die stockdunkle Zelle der Schwester. Sie hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit Benedictas entsetztem Aufschrei. »Wer seid Ihr?«
»Ich bin es, die Priorin, schweigt und hört mir gut zu. Schwester Walburga hat Euch in sündiger Umarmung mit meinem Neffen beobachtet. In den nächsten Tagen sollt Ihr dem Provinzial vorgeführt werden …«
»Aber …, aber … das …«, stammelte Benedicta, doch Leonore unterbrach sie wütend. »Wagt es nicht zu leugnen! Und hört mir einfach zu. Ihr sollt der Unkeuschheit überführt werden. Und dann, das dürft Ihr mir glauben, wird er Euch fortbringen lassen und für immer hinter Klostermauern sperren. Und auch meinen Neffen wird er nicht ungeschoren davonkommen lassen. Das kann ich nicht verantworten. Ihr seid frei. Mein Neffe wird Euch in Sicherheit bringen. Er wartet schon auf Euch.«
In diesem Augenblick unterbrach ein leises Klopfen ihre Rede.
»Versteckt Euch dort hinten in der Ecke!«, flüsterte Benedicta noch, war mit einem Satz bei der Tür und öffnete sie einen Spaltbreit.
Dort draußen, vom fahlen Schein des vollen Mondes beschienen, stand Walburga. Bevor sie etwas sagen konnte, hatte Benedicta bereits neben sich gegriffen und der Schwester wortlos einen Lebkuchen gereicht.
»Habt Dank, aber könnte ich vielleicht zwei davon …«, murmelte Walburga sichtlich verdutzt, doch da hatte Benedicta die Tür bereits wieder hinter sich zugezogen.
Schwer atmend blieb Benedicta eine Weile so stehen. Auch von der Priorin war nicht mehr zu hören als ihr rasselnder Atem.
Erst nachdem Walburgas Schritte verklungen waren, raunte Benedicta ungläubig in die Dunkelheit hinein: »Und Ihr wollt mich wirklich ziehen lassen?«
»Redet nicht, folgt mir und geht auf leisen Sohlen. Wenn wir ertappt werden, geht es nicht nur Euch an den Kragen«, erwiderte die Priorin streng und tastete sich zur Tür.
»Ihr seid zu gütig«, seufzte Benedicta und konnte es immer noch nicht fassen.
»Freut Euch nicht zu früh. Ich knüpfe alles an eine Bedingung«, entgegnete die Priorin scharf.
»Was immer Ihr wollt!«
Benedicta trat zusammen mit der Priorin hinaus auf den Gang. Dort bemerkte sie im Schein des fahlen Mondlichts das bleiche Gesicht der Priorin. Sie erschrak. Die nackte Angst spiegelte sich darin wider. So verletzlich hatte Benedicta die Priorin noch nie zuvor gesehen. Sie wollte etwas Tröstendes sagen, aber ihr fiel nichts ein. Alles war so schrecklich verwirrend, doch ehe sie sichs versah, hatte Leonore wieder ihr strenges und abweisendes Gesicht aufgesetzt.
»Meine Bedingung lautet: Ihr schleicht zum Schlafsaal der Köchin und der Mägde und erteilt Agnes die ausdrückliche Erlaubnis, mir Euer Rezept für die Lebkuchen zu verraten …«
»Ihr wisst also, dass sie Euch belog, als sie behauptete, das Rezept nicht zu
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