Die Lebküchnerin
Agnes sagte zu alledem kein Wort. Sie spürte wieder einmal den Mühlstein im Bauch, der sie vor drohendem Unheil warnte. Doch sie würde sich davor hüten, ihre Befürchtungen laut zu äußern.
31
Mit grimmiger Miene ritt Konstantin von Ehrenreit auf das Stadttor zu. Er war froh, dass er nicht lange warten musste, sondern zügig durchgewunken wurde. Zu seinem großen Ärger war er länger auf der Burg aufgehalten worden, als ihm lieb war. Nach dem Tod seines Vaters war so vieles zu erledigen gewesen. So hatte er schweren Herzens Adam, dem treuen Knecht seines Vaters, die Verwaltung der Ländereien übertragen. Adam hatte sich schon immer um die Landwirtschaft gekümmert, weil dem alten Emmerich sein Land in Wahrheit herzlich gleichgültig gewesen war. Und wenn am vergangenen Tage nicht ein Bote seines Onkels nach Ehrenreit gekommen wäre, Konstantin hätte sich wahrscheinlich noch länger mit der Übergabe an Adam beschäftigt. Der Onkel hatte seine sofortige Rückkehr nach Nürnberg befohlen.
Während Konstantin bei schönstem Sonnenschein über den Steg ritt, musste er an Julian denken. Und daran, dass er vergeblich versucht hatte, den älteren Bruder von seiner Entscheidung abzubringen, in die Fremde zu ziehen. Mit Engelszungen hatte er auf ihn eingeredet, er möge doch Herr der Burg werden. Vergebens.
Julian hatte ihm das Versprechen abgerungen, alles daranzusetzen, um Benedicta zu finden. Sie ist in Begleitung ihrer Freundin unterwegs, der ehemaligen Klosterköchin. Diese Beschreibung hatte der Bruder ihm als Anhaltspunkt mit auf den Weg gegeben. Das war nicht gerade viel. Wie sieht sie denn aus, deine Benedicta?, hatte Konstantin von Julian wissen wollen. Der war ins Schwärmen geraten. Sie ist groß, von besonders schlanker Gestalt, hat wunderschöne schwarze Locken, große braune Augen, einen Mund, der zum Küssen verführt, und ein bezauberndes Lachen. Ihre Zähne sind herrlich weiß, und ihre Stimme ist tief und voll, sodass sie dich in ihren Bann zieht …
Vielleicht sollte ich sie dann doch heiraten, hatte Konstantin gescherzt. Sein Bruder aber hatte über den Scherz ganz und gar nicht lachen können. Er nahm es Konstantin ein wenig übel, dass er ihm den Schwur, Benedicta zur Frau zu nehmen, verweigert hatte. Immer wieder war Julian in ihn gedrungen. Konstantin aber hatte nicht schwören wollen und jede Menge Bedenken vorgeschoben. Was, wenn sie zurück ins Kloster will? Was, wenn du es dir anders überlegst, zurückkehrst und ich dann mit deiner Liebsten verheiratet bin? Was, wenn die Klosterschergen sie im Haus des Onkels aufspüren und ich sie doch nicht beschützen kann? Ihm war der Gedanke, seinem Bruder zuliebe eine wildfremde junge Frau und überdies noch eine entflohene Klosterschwester zu heiraten, mehr als unangenehm. Er liebte die Frauen und war beileibe nicht abgeneigt, einer das Jawort zu geben, wenn ihm die Richtige begegnete, aber im Augenblick hatte er wirklich andere Sorgen als die Liebe. Was sollte langfristig aus der Burg werden, wenn er den Gewürzhandel seines Onkels übernahm und endgültig zum Patrizier wurde? Was sollte er mit dem Vermögen seines Vaters anfangen, dessen Herkunft er doch für äußerst zweifelhaft hielt? Man hatte die Überfälle auf Händler im Umkreis der Burg Ehrenreit niemals aufklären können. Doch eines stand fest: Seit diesen Vorfällen war auf der heruntergekommenen Burg wieder der Wohlstand eingekehrt. Wenigstens hatte Konstantin seinem Bruder einen Teil des Vermögens aufdrängen können.
Am Morgen waren sie in aller Herrgottsfrühe gemeinsam aufgebrochen. Konstantin war gen Westen geritten, Julian gen Süden.
Konstantin war so tief in Gedanken versunken, dass er den Hund, der nun freudig bellend auf ihn zukam, zunächst gar nicht bemerkte. Erst als das braune Tier mit der auffällig dunklen Schnauze neben dem Pferd herlief und daran hochzuspringen versuchte, erkannte er seine alte Jagdgefährtin wieder. Er ließ das Pferd anhalten und sprang mit einem Satz hinunter. Der Hund war außer sich vor Freude, wedelte wild mit dem Schwanz, wälzte sich voller Begeisterung im Unrat der Gasse und leckte seinem Herrn die Hand.
»Schwarzschnauz, du gute Schwarzschnauz!«, rief Konstantin gerührt aus und kraulte seiner einstigen Leithündin das Fell. Er war nicht mehr auf die Jagd gegangen, seit er bei seinem Onkel arbeitete. Schwarzschnauz aber war ihm so ans Herz gewachsen, dass er sie einfach mit in die Stadt genommen hatte. Im großen Patrizierhaus
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