Die Lebküchnerin
Agnes ungläubig fragte: »Benedicta, begreifst du es denn nicht?«
»Nein, wieso folgt sie diesem eingebildeten Laffen?«
»Weil sie ihm gehört, du dumme Gans!«, lachte Agnes leicht gereizt.
»Nein, sie gehört mir, und vorher gehörte sie dem Mann mit dem Kapuzenmantel …« Benedicta hielt inne und blickte die Freundin verdutzt an.
»Du glaubst doch nicht etwa, dass dieser Kerl …«
»Doch, es war unverkennbar derselbe Gürtel, den er trug«, entgegnete Agnes ungerührt.
»Aber … aber dann muss ich ihn einholen, ihn nach Julian fragen, ich muss …«, stammelte Benedicta, doch da herrschte Crippin sie an. »Du musst im Augenblick nur das eine: dich ganz ruhig verhalten.« Dabei zog er sie am Ärmel ihres Gewandes in die Kirche hinein und fügte mit heiserer Stimme hinzu: »Dreh dich nicht um, denn wir bekommen ungebetene Gäste zur Messe.«
Benedicta konnte gar nicht anders. Sie warf einen neugierigen Blick zurück – und erkannte Lukarde. Benedicta fröstelte. Die Tochter des Bäckermeisters glühte vor Hass. Und auch ihr Vater, der sie begleitete, schien nichts Gutes im Schilde zu führen.
Trotz der Bedrohung, die in den hinteren Kirchenbänken von Vater und Tochter Burchard ausging, wanderten Benedictas Gedanken zu dem Fremden mit dem goldenen Gürtel. Sie musste ihn unbedingt finden – aber wo sollte sie suchen? Sie wusste weder, wer er war, noch wo er sich in dieser großen Stadt aufhielt. Von der Messe bekam Benedicta nicht allzu viel mit.
Als das frisch getraute Brautpaar aus der Kirche trat, stürzte sich Lukarde ohne Vorwarnung auf Agnes und riss ihr unter wüstesten Beschimpfungen das Gebände vom Kopf. Agnes schrie auf vor Schmerz und versetzte ihrer Feindin einen Hieb gegen den Oberarm. Und schon war eine heftige Prügelei im Gang.
Der Pfarrer drohte, einen Büttel zu holen. Crippin aber wollte auf schnellstem Weg nach Hause. Vorbei an Meister Burchard. Nur das gelang ihm nicht. Der schwergewichtige Weißbäcker stellte sich ihm in den Weg und donnerte: »So viel kann ich auf dein Wort also geben! Es ist nichts wert, Meister Heller, gar nichts, aber das wirst du mir büßen.«
Eine Traube von Schaulustigen bildete sich um die Streitenden. Agnes und Lukarde schenkten einander nichts. Sie traten, spuckten und schlugen. Und das alles unter dem Gejohle der Menschenmenge.
»Gib’s der dunklen Hexe!«, schrien die einen.
»Lass die Braut in Ruhe!«, brüllten die anderen.
Schließlich ging Anselm mutig dazwischen und hinderte Lukarde daran, weiter auf Agnes einzuschlagen.
»Was geht da vor?«, rief ein Büttel, der sich seinen Weg durch die Menge gebahnt hatte.
»Nimm ihn mit! Er ist wortbrüchig geworden!«, schrie Meister Burchard und deutete auf Crippin, der völlig fassungslos dastand. Burchard hatte einen hochroten Kopf bekommen, und seine Stimme überschlug sich.
Der Büttel war ein kräftiger Mann mittleren Alters. Er verlangte von dem aufgebrachten Bäckermeister, ihm in aller Ruhe zu schildern, was geschehen war. Der aber brachte keinen vernünftigen Satz heraus, sondern stieß nur üble Beschimpfungen aus.
»Ich kann nichts für Euch tun«, unterbrach ihn der Büttel schließlich schroff. »Wenn Eurer Tochter das Heiratsversprechen gemacht wurde, wendet Euch an den Rat der Stadt. Wenn Ihr aber weiter Unfrieden macht, dann stelle ich Euch wegen Ruhestörung und Verleumdung an den Pranger.«
Entsetzt starrte Meister Burchard den Büttel an. Dann packte er seine Tochter, die sich erneut kreischend auf Benedicta stürzen wollte, am Kragen und schleifte sie mit sich fort. »Das wirst du bitter bereuen«, zischte er gehässig, als er an Crippin vorbeihastete.
Unterdessen versuchte Benedicta, das Haar ihrer Freundin wieder unter dem Gebände zu verbergen, das sie als verheiratete Frau nun tragen musste. Agnes zitterte immer noch am ganzen Körper. »Ihr habt den ganzen Ärger nur meinetwegen!«, klagte sie.
»Hör auf, so etwas Dummes zu sagen!«, mahnte Anselm und fügte beschwörend hinzu: »Ich wollte dieses böse Weib niemals heiraten. Nun glaub mir doch endlich! Und wenn wir zusammenhalten, Benedicta, Vater, du und ich, dann geschieht uns nichts. Sie können uns nichts anhaben.«
Er nahm Agnes’ Hand und drückte sie ernst.
»Nein, sie können uns nichts anhaben«, wiederholte Crippin wenig überzeugt.
32
Der Gewürzhändler Berthold von Ehrenreit besaß eines der prächtigsten Patrizierhäuser in der ganzen Stadt. Das Gebäude mit den auffälligen Türmen sowie sein
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