Die leere Wiege: Roman (German Edition)
Lebensmut.«
Cate schaute zum Fenster, vor dem eine kreischende Möwe vorbeiflog.
»Erst recht für jemanden wie Sie dürfte es nicht einfach sein«, antwortete sie ruhig.
»Sie meinen jemanden, dem andere den Tod eines Kindes anlasten.«
»Ja. Ich nehme an, die anderen machen Ihnen das Leben schwer.«
»Ich sage ja niemandem, weshalb ich hier bin, sonst bekäme ich tatsächlich Schwierigkeiten. Die Frauen würden mich angreifen. Deshalb sage ich allen, ich säße wegen eines Überfalls. Das finden die anderen akzeptabel.«
»Und das glaubt man Ihnen?«
»Die Leute glauben doch jede Lüge. Nur deshalb bin ich ja verurteilt worden, obwohl die Wahrheit offensichtlich war.«
»Ich warne Sie, Rose. Dass Sie Ihre Schuld anerkennen, wird bei der Debatte über Ihre Bewährung entscheidend sein.«
»Also möchten Sie, dass ich lüge. Obwohl ich Luke nie geschadet hätte. Ich habe den Jungen geliebt.« Rose beugte sich vor und wirkte beinah flehend.
Für einen Moment hielt Cate ihren Blick fest. »Ich habe Ihr Strafregister gelesen.«
»Ja und? Sie können jeden Wärter fragen. Alle werden Ihnen sagen, dass ich mich ruhig verhalte. Meine Zelle ist immer ordentlich. Man vertraut mir.«
»Trotzdem gab es in Highpoint einen Schuldspruch. Aus welchem Grund?«
»Steht das nicht in Ihren Unterlagen?«, wich Rose aus. Ihr Blick wurde abwägend.
»Nein. Aber ganz gleich, was es war, es hat dazu geführt, dass Sie wieder in ein Hochsicherheitsgefängnis kamen. Demnach muss es etwas Schwerwiegendes gewesen sein.«
Cate wartete auf die Erklärung. Vergebens, wie sich herausstellte. Rose zog ein Päckchen Zigarettenpapier aus der Brusttasche ihrer Bluse.
»Darf ich rauchen?«
»Sie wissen doch, dass das hier nicht geht.«
Rose blickte sie unter ihren schweren Lidern hervor an. In ihren Augen blitzte Verachtung auf.
»Warum wollen Sie mir nicht sagen, wie es zu dem Schuldspruch kam?«
Rose zuckte mit den Schultern, eine gleichgültige Geste, die ihrem forschenden Blick widersprach. »Wie Sie schon sagten. Ein Fall wie meiner kommt hier drinnen nicht so gut an. Irgendwann gibt es eine Gefangene mit einem Verdacht. Eine, die mein Gesicht aus der Zeitung kennt. Oder eine, die gehört hat, wie einem Wärter eine Bemerkung rausgerutscht ist. Letztlich gibt es immer jemanden, der versucht, sich wichtig zu machen. Ich gehe über alles weg, über die Blicke, die Rempeleien. Sogar über das heiße Wasser, und das tut verdammt weh. Doch damals, das war was anderes. Was diese Frau gesagt hat, war falsch.«
»Was hat sie denn gesagt?«
»Sie hat mich abgepasst. Als ich unter der Dusche stand und schutzlos war. Die anderen haben um uns herumgestanden und zugeschaut. Sie hat mich als Perverse beschimpft, und das konnte ich nicht dulden. Das wäre wie ein Eingeständnis gewesen.«
Inzwischen wusste Cate, was es mit der Bezeichnung auf sich hatte, wie herabsetzend und schädlich sie war.
»Die meisten hier wissen rein gar nichts über mich. Im schlimmsten Fall halten sie mich für eine Einbrecherin. Was ja auch stimmt.«
»Was haben Sie denn gestohlen?«
Rose deutete ein Lächeln an und berührte ihre Kette. »Nur einen Schlüssel.«
»Und was haben Sie der Frau getan, die Sie als pervers bezeichnet hat?«
»Nur das, was ich tun musste. Schwächen kann man sich im Gefängnis nicht leisten. Ich habe einen günstigen Moment abgewartet und ihr heißes Wasser ins Gesicht gekippt. Es hat mich zwar Überwindung gekostet, aber mir blieb nichts anderes übrig. Sonst hätten alle gewusst, dass ich mich nicht wehre, wenn man mich so nennt.« Rose wurde noch blasser und krallte die Hände ineinander.
Cate beobachtete sie. »Geht es Ihnen nicht gut?«
»Nein.« Tränen traten der Gefangenen in die Augen. »Alles hängt hiervon ab. Niemand sieht ein, dass ich keine bösen Absichten gehegt habe, als ich in Lukes Zimmer war. Ich habe den Jungen geliebt. Ich weiß, dass ich da nicht hätte sein dürfen, aber nachdem ich Joel verloren hatte …« Die ersten Tränen rollten über ihre Wangen. »Ich wollte doch nur noch einmal ein Baby in den Armen halten. Weiter nichts. Ich hätte ihm doch nie etwas getan.«
Cate sah zu, wie Rose weinte. Sie war versucht, die Frau zu trösten, doch dann fiel ihr wieder ein, dass ihretwegen ein Kind gestorben war. Sie wartete, bis die Tränen langsam versiegten.
Rose wischte sich über die Augen. »Haben Sie Kinder?«, schniefte sie.
»Das tut nichts zur Sache.«
»Doch, aber wahrscheinlich dürfen Sie es
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