Die leere Wiege: Roman (German Edition)
die Knackis noch, einer von uns wollte seinem Sohn mal das Gefängnis zeigen.«
Cate wünschte, sie könnte Callahan zum Schweigen bringen. »Ich möchte mit einer Gefangenen namens Rose Wilks sprechen. Es geht um ihr Bewährungsgutachten.«
Callahan grinste sie lüstern an. »Dazu brauchen wir eine Nummer, am liebsten gleich Ihre.« Seine eigene geistreiche Anspielung brachte ihn zum Glucksen. Er wandte sich an Mark. »Zisch ab, Junge, und hol der Lady ihre Gefangene. Flügel D. Und ein bisschen dalli bitte.«
Mark eilte davon. Mit forschem Schritt betrat Cate ein leeres Klassenzimmer und wartete auf Rose Wilks.
6.
Eintrag in mein schwarzes Buch
Mein schwarzes Buch, mein kostbares Notizbuch. Früher bestand es nur aus leeren Seiten, doch inzwischen fülle ich sie langsam. Es ist wie ein Tagebuch und zugleich wie ein Brief, denn eines Tages werde ich dir, mein lieber Jason, dieses Buch überreichen. Ich finde es schön, mir vorzustellen, wie du es liest. Aber noch ist es zu früh. Erst wenn ich frei bin.
Zu guter Letzt hatten die Geschworenen mich doch nicht des Mordes für schuldig befunden. Sie glaubten mir, als ich sagte, dass ich Luke geliebt habe, dass ich ihm nie etwas hätte antun können. Sie entschieden sich für Totschlag, immerhin war ich am Tatort, in der Nacht, als es passierte. Außerdem bin ich Raucherin, und das Feuer wurde durch eine brennende Zigarette ausgelöst.
Seit jener Nacht sind genau drei Jahre, zehn Monate und zwei Tage vergangen, aber wenn ich Glück habe, bin ich in sechs Wochen frei. Dazu muss meine Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden, und damit das geschieht, brauche ich einen positiven Bericht von Officer Callahan und vor allem von der Bewährungskommission. Ich bin schon ganz kribbelig und denke an das, was draußen auf mich wartet. Noch mal vier Jahre eingeschlossen zu sein würde ich nicht überleben.
Es ist ruhig. Die meisten Frauen nehmen an Kursen teil, einige schlafen. Ich putze den Fußboden im Flur. Officer Callahan läuft mit seinen schmutzigen Stiefeln mittendurch.
»Ich hab was für dich«, sagt er, lehnt sich an die Wand und legt eine Hand auf seinen Schritt.
Ich muss ihn anlächeln, sonst würde ich abweisend wirken. Callahan ist für mich zuständig. Er macht die Eintragungen in meine Akte und kennt meinen Fall von allen Wärtern am besten. Mit der freien Hand schwenkt er Papiere, vermutlich seinen Bericht über mich für die Bewährungskommission. Ich greife nach den Seiten, aber er reißt den Arm hoch.
»Na, na, wer wird denn gleich grabschen.«
»Darf ich das bitte lesen?« Ich klinge wie ein bettelndes Kind.
»Sicher doch. Aber vorher will ich einen Kuss.«
Auf die Weise behandelt er die Frauen nur zu gern. Normalerweise gehe ich darüber weg, aber heute steht mehr als mein Stolz auf dem Spiel. Es widert mich an, als ich mit den Lippen über seine Wange fahre. Im letzten Moment dreht er den Kopf, und sein Mund berührt meinen. Seine Lippen sind feucht und gierig. Mir wird übel. Aber ich lächele. Ich weiß, wer hier die Macht hat.
»Eben habe ich den Bewährungshelfer getroffen, der dein Gutachten schreiben wird, Rosie.«
»Ach?« Das ist für mich wichtig, aber ich will nicht, dass er merkt, wie viel es mir bedeutet. »Wie ist er?«
»Kein Er, sondern eine Sie. Die Gute ist noch ein bisschen grün hinter den Ohren. Ich habe heute Morgen die große Tour mit ihr gemacht, und hinterher kam sie mir ein bisschen blass vor. Hat wohl gedacht, hier wär’s wie im Hotel.«
»Wie heißt sie?«
»Cate Austin. Für dich Ms Austin. Du triffst sie nach dem Mittagessen. Dumm gelaufen, würde ich sagen. Frauen sind immer härter, wenn es um Kindesmörder geht.«
Ich schaue mich um, um sicherzugehen, dass uns niemand hört.
»Keine Sorge, Rosie. Dein Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben.«
Endlich gibt er mir den Bericht. Ich falte ihn zusammen und schiebe ihn hinten in meine Hose. Während ich den Rest des Flures putze, spüre ich das Papier an meiner Wirbelsäule.
—
Es ist ein positiver Bericht. Ich sei eine »tadellose Gefangene«, heißt es. Callahan behauptet, er wünschte, es gebe mehr Inhaftierte wie mich. In Bishop’s Hill sei ich nie in Schwierigkeiten geraten. Ich sei immer höflich und zeige Respekt. In seinem Resümee befürwortet Callahan meine vorzeitige Entlassung. Ich verstecke den Bericht unter meiner Matratze. Die anderen Gefangenen dürfen ihn nicht finden, das wäre zu riskant. Aus Neid wird Wut, aus Wut
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