Die leere Wiege: Roman (German Edition)
paar genommen habe.« Janie kichert über ihren Wagemut.
»Was noch?«
»Ein Block. Mit deinem Namen drauf.«
»Was stand sonst noch darauf?«
»Bin mir nicht sicher. Nicht viel.«
Ich verfluche die Tatsache, dass Janie nicht richtig lesen kann. Jetzt muss ich sie dazu bringen, Cates Notizen zu stehlen, um zu erfahren, was sie über mich aufschreibt.
»Auf dem Schreibtisch steht das Foto eines kleinen Mädchens, das Eis schleckt. Süß sieht es aus, mit Zöpfen.«
»Das wird ihre Tochter sein. Was meinst du, wie alt die Kleine ist?«
»Vier oder fünf, schätze ich. An der Wand hängt ein Bild. Von einem Kind gemalt. Es steht ein Name drauf.«
»Du weißt, wie das Mädchen heißt?«
»Ja, steht doch auf dem Bild. In großen Buchstaben. A, M, E, L, I, A.«
»Amelia.«
Janie hat eine Menge für mich riskiert. Falls jemand sie beim Schnüffeln erwischt, verliert sie ihren Putzjob und kommt wahrscheinlich in Einzelhaft. Mir zuliebe hat sie sich in Gefahr begeben.
»Toll gemacht, Janie, ich danke dir. Jetzt musst du nur noch herausbekommen, ob Cate Austin einen Mann hat.« Ich atme die freie Luft ein und lächele in die Nacht.
Die Nächte sind am schlimmsten, Jason. Mitunter kann ich kein Auge zutun. Schläfst du immer noch auf dem Rücken, vollkommen ergeben? Nachts, wenn du geträumt hast, habe ich dich immer beobachtet und konnte nicht fassen, dass du mir gehörst.
Ich erzähle dir jetzt mal eine Geschichte. Ich schreibe sie in mein schwarzes Buch, das ich dir eines Tages geben werde. Dabei geht es um ein Mädchen namens Rose, das am Meer wohnte.
Mein Leben, ehe du mich kennengelernt hast. Es hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin.
9.
Eintrag in mein schwarzes Buch
In bin in Suffolk aufgewachsen, in einer Küstenstadt namens Lowestoft. Dort hatten meine Eltern einen Laden. Lowestoft hatte schon bessere Tage gesehen. Die herrschaftlichen Häuser entlang der Küste waren in Wohnungen unterteilt worden, in denen alleinstehende Mütter und Jugendliche von der Wohlfahrt lebten.
Wir waren zu viert: meine Mutter, mein Vater, mein Bruder Peter und ich. Peter war zwei Jahre älter als ich, ein widerlicher Junge mit Schweinsaugen, bleichem, teigigem Gesicht und einem erbsengroßen Gehirn. Er hatte den blassen Teint meiner Mutter geerbt, nicht aber ihre zarten Züge. Wie es bei älteren Brüdern häufig der Fall ist, piesackte er mich ständig, aber meine Mum sagte, ich müsse Zugeständnisse machen, denn Peter sei »anders«, was bedeutete, dass er strohdumm war.
Unser Geschäft befand sich direkt am Strand, es war ein Tante-Emma-Laden mit Strandzubehör. Mum sollte sich um mich und Peter kümmern, aber es gab Phasen, in denen wir ihr zu viel waren und sie einfach im Bett blieb. Wenn es ihr gut ging, war sie lustig. Dann verbrachte sie die Tage mit uns am Meer, wir konnten schwimmen, und ich durfte mit ihren langen Haaren spielen, die golden glänzten, wie die Sonne. Doch wie aus heiterem Himmel hörten diese Tage wieder auf und wurden von einem ihrer »wirren Anfälle« abgelöst, wie mein Vater sie nannte. Dann waren ihre Haare fettig und ihre Augen stumpf.
Ich war zwar nur ein Kind und wusste noch nicht viel, trotzdem fiel mir auf, wie häufig Mrs Carron in den Laden kam. Sie hatte rosa Lippen, flatterte von hier nach da und trug ein süßlich riechendes Parfum. Viele Hausfrauen aus der Siedlung kamen zu uns, um Brot oder Kekse zu kaufen, und mein Vater war zu allen sehr freundlich. Dass er zu Mrs Carrons rosa Lippen noch freundlicher war, nahm ich einfach so hin. Warum hätte ich mir auch etwas dabei denken sollen, wenn er mit ihr schäkerte oder auf ihren Hintern starrte, wenn sie den Laden verließ. Er war schließlich ein Mann und sie eine der Frauen, die sich herausputzen und silberglockenhell lachen. Alles wirkte ganz normal, jedenfalls nicht seltsam oder schlecht. Meine Mutter war da allerdings anderer Ansicht.
Ich hörte, wie sie meinen Vater anschrie, und wusste, dass sie dabei schlimme Wörter benutzte, auch wenn mir nicht klar war, was »Hure« und »Schlampe« wirklich bedeuteten. Mein Vater brüllte dann zurück, sie solle die »Klappe halten«, bezeichnete sie als eine »Verrückte« und sagte, deshalb könne ihm das »keiner übelnehmen«. An dem Punkt fing meine Mutter an zu weinen, und wenn der Streit vorüber war, legte sie sich ins Bett, und mein Vater ging aus. Er sagte nie, wohin er wollte, doch wenn er zurückkam, roch er nach süßlichem Parfum und hatte rosa
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