Die leere Wiege: Roman (German Edition)
Fäusten.
Ich muss gehen , schoss es Cate durch den Kopf. Ich muss so schnell wie möglich hier raus . Eilig stand sie auf und griff nach ihrer Aktentasche. Dabei stieß sie gegen den Tisch. Der halb volle Becher Kaffee kippte um.
Mit brennenden Wangen sah sie zu, wie Jason auf die Knie ging und den verschütteten Kaffee mit Papiertaschentüchern vom Teppich tupfte.
»Auch das noch«, murmelte er. »Was für eine Schweinerei.«
Dann sackte er in sich zusammen, schluchzte auf und schlug die Hände vors Gesicht. »Sehen Sie doch nur, was Sie angerichtet haben«, stieß er hervor. »Das ist alles Ihre Schuld.«
25.
Selbst als Cate wieder in ihrem Büro war, hatte sie sich noch nicht gefangen und starrte blicklos auf den leeren Bildschirm. Sie hätte längst mit dem Gutachten beginnen sollen, fühlte sich jedoch außerstande. Immer wieder kehrten ihre Gedanken zu dem Besuch bei Jason Clark zurück. Im Geist sah sie sein zorniges Gesicht, dann ihren abrupten Aufbruch und den Kaffee, der sich über den Teppich ergoss. Jason, der auf dem Boden hockte, die Hände vors Gesicht geschlagen.
Er hatte an ihren Fragen Anstoß genommen, war von Anfang an defensiv gewesen. Wenn er vom Tod seines Sohns gesprochen hatte, war er den Tränen nahe gewesen. Auch als sie ihn über seine Ehe ausgefragt hatte, glänzten Tränen in seinen Augen. Jason Clark war verletzt und aufgebracht. Doch er war bei Rose geblieben. Nicht ein einziges Mal hatte er sich abfällig über sie geäußert und schien auch nicht zu glauben, dass sie Emma verfolgt hatte. Aber wie konnte er Rose den Tod des kleinen Luke verziehen haben? Oder sogar so tun, als hätte sie sich nicht das Geringste zuschulden kommen lassen? Er wusste doch, dass Rose in das Haus der Hatchers eingedrungen war und den Brand verursacht hatte.
Cates Gedanken wanderten zu Rose, die nie mehr ein Kind bekommen würde. Sie versuchte sich auszumalen, wie sie sich an ihrer Stelle fühlen würde, und ihr Magen zog sich unwillkürlich zusammen. Die Erkenntnis dürfte auch für Jason nicht einfach gewesen sein, und doch war noch etwas anderes an seinem Verhalten gewesen, irgendetwas, das sie hatte aufmerken lassen. Er verbarg etwas, dessen war sie sich so gut wie sicher. Dass sie den Kaffee verschüttet hatte, war ihr peinlich, aber warum hatte er darauf so heftig und emotional reagiert?
—
In drei Wochen würde die Bewährungskommission tagen. Cate musste das Gutachten schleunigst in Angriff nehmen. Aber vorher wollte sie noch einmal mit Jason sprechen.
Sie zog ihr Telefon zu sich heran und wählte die Nummer seines Handys. Er meldete sich nicht. Irgendwann sprang die Mailbox an.
»Mr Clark? Hier ist Cate Austin. Es tut mir leid, dass unser Gespräch so unschön ausgegangen ist. Könnten wir uns vielleicht noch einmal treffen? Wenn es Ihnen recht ist, komme ich am Montagmorgen um zehn Uhr noch mal bei Ihnen vorbei. Wenn ich nichts mehr von Ihnen höre, gehe ich davon aus, dass Ihnen dieser Termin passt.«
Sie legte den Hörer auf, der von ihrer schweißnassen Hand feucht geworden war. Ruhelos trommelte sie auf die Schreibtischplatte. Dann rief sie im Flügel D des Gefängnisses an.
Nach nur einmaligem Klingeln meldete sich eine unfreundliche Stimme. »Ja?«
»Cate Austin hier, Bewährungsdienst. Könnte ich kurz vorbeikommen und die Gefängnisakte von Rose einsehen?«
Eine Pause entstand. »Sie meinen die Akte Wilks. Hier werden keine Vornamen benutzt.«
Cate seufzte und ärgerte sich über die Belehrung. »In ein paar Minuten bin ich da.«
Aber am anderen Ende war bereits aufgelegt worden.
Um ins Innere des Gefängnisses zu gelangen, musste Cate sich wieder zig Türen aufsperren lassen, die geräuschvoll hinter ihr zugeschlagen wurden. Sie überquerte mehrere düstere Flure, die sie tiefer und tiefer in das Hauptgebäude führten. Dann hatte sie den Trakt erreicht, den Dave Callahan als »Käfig« bezeichnete. Cate lief an den Zellenreihen entlang, die sich übereinandertürmten und einen offenen quadratischen Platz umschlossen. Es war der Ort, an dem die Gefangenen zusammenkamen, um einander zu quälen, zu bestechen, zu hänseln oder zu tratschen. Inmitten dieses Treffpunkts stand ein Billardtisch, nicht weit davon entfernt ein riesengroßer Fernseher, auf dem eine Vormittagssendung lief, so laut aufgedreht, dass es Cate in den Ohren schmerzte.
Verwundert registrierte sie die vielen Frauen, die vor dem Apparat hockten, und warf einen Blick auf ihre Uhr.
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