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Die leere Wiege: Roman (German Edition)

Die leere Wiege: Roman (German Edition)

Titel: Die leere Wiege: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Dugdall
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Womöglich ein Antidepressivum. Oder Morphium. Ganz gleich, was es war, es betäubte die Schmerzen. Mein Gesicht war trocken, die Augen waren tränenlos. Der Geruch von Schulessen stieg mir in die Nase. Gleich darauf brachte mir eine neue Schwester einen Teller mit gräulichem Fleisch und Kartoffeln. Mein Magen hob sich. Ich stocherte in dem Essen herum, kostete schließlich einen Happen. Es schmeckte scheußlich, und dennoch sammelte sich Speichel in meinem Mund, und eine innere Stimme riet mir, mich zu stärken. Es wunderte mich, dass mein Körper überleben wollte, obwohl er so kraftlos und geschunden war.
    Eine Weile später kam die Schwester herein, die nachts bei mir gewesen war, diejenige mit dem lila Lidschatten und den rosa gefärbten Haarspitzen. Sie nahm mir den leeren Teller ab und belohnte mich mit einem Lächeln. »Na also. Bestimmt geht es Ihnen jetzt besser.«
    Ich las das Namensschild auf ihrer Tracht. Nurse Hall.
    Dann kam jemand Neues herein. Diesmal war es keine Krankenschwester, denn die Frau trug einen weißen Kittel. Sie hatte ihn aufgeknöpft, sodass ich das schicke Kostüm darunter erkannte und mich fragte, warum jemand so etwas in einem Krankenhaus trug. Ihr kastanienroter Lippenstift hatte die gleiche Farbe wie ihre Bluse, ihre Fingernägel waren kurz geschnitten und nicht lackiert.
    Sie hatte eine Aktentasche bei sich, der sie einige Unterlagen entnahm. Dann schraubte sie die Kappe ihres Füllers ab.
    »Ich bin Doktor Marion Cross. Hat die Schwester Ihnen gesagt, dass ich vorbeikomme?«
    Ich nickte.
    »Ich möchte mit Ihnen über Ihr Baby sprechen.«
    O Gott, dachte ich, denn ich wollte die Nachricht gleichzeitig hören und nicht hören.
    »Der Zustand des Jungen ist kritisch, aber stabil.«
    Demnach klammerte mein Kind sich an sein Leben.
    Dr. Cross nahm einen Stuhl und setzte sich an mein Bett. »Die Wehen haben bei Ihnen vorzeitig eingesetzt. Die Wand Ihrer Gebärmutter war an der dicksten Stelle gerissen, und Sie bluteten. Wir haben einen Notkaiserschnitt vorgenommen, doch durch den Riss der Gebärmutter hat Ihr Baby zu wenig Sauerstoff bekommen.«
    »Wird mein Kind sterben?«
    »Es kommt selten vor, dass die Gebärmutter reißt, aber wenn, dann kann es für Mutter und Kind ernsthafte Folgen haben. Von zwanzig Säuglingen überlebt einer so etwas nicht.«
    Ich schloss die Augen. In meinem Bauch pochte dumpf der Schmerz.
    »Aber Ihr Sohn ist stabil, und wir haben große Hoffnung, dass er durchkommen wird. Nur Ihren Uterus konnten wir leider nicht retten.«
    »Was soll das heißen?«
    »Dass wir aufgrund Ihrer schweren Blutungen eine Hysterektomie durchführen mussten. Es tut mir leid, Miss Wilks.«
    Keine Gebärmutter mehr. Keine weiteren Kinder. Die Nachricht traf mich mit solcher Wucht, dass ich kaum noch Luft bekam.
    »Um Infektionen zu verhindern, werden Ihnen über den Tropf Antibiotika zugeführt. Die Wunde ist schon dabei zu heilen.«
    »Kann ich mein Baby sehen?«
    Dr. Cross nickte. »Selbstverständlich. Sie werden im Rollstuhl zu ihm gefahren. Sie müssen sich noch schonen, immerhin haben Sie einiges durchgemacht. Und bitte erschrecken Sie nicht, wenn Sie sehen, wie zerbrechlich der Junge wirkt. Versuchen Sie, ein wenig Milch abzupumpen, denn Muttermilch ist für Ihr Kind jetzt das Beste. Es wird Ihnen zudem das Gefühl geben, zu dem Genesungsprozess Ihres Kindes beizutragen.«
    Genesungsprozess. Dieses Wort war wie ein Hoffnungsschimmer.
    »Ihr Baby wird ständig überwacht. Ob es bei der schwierigen Geburt Schaden genommen hat, können wir im Moment noch nicht abschätzen, aber Ihr Sohn hat eine Kämpfernatur. Sein Vater hat ihn schon gesehen. Sollen wir ihm sagen, dass Sie aufgewacht sind?«
    Aber du warst nicht der, den ich sehen wollte.
     
    Nurse Hall fuhr mich im Rollstuhl zur Intensivstation. Auf dem Weg dorthin sagte ich kein Wort. Sie dagegen plapperte unentwegt. Nichts von dem, was sie sagte, konnte mir helfen. Sie erzählte mir von dem Hund, den sie sich gerade gekauft hatte, und dass er in ihr Bett pinkelte, wenn sie in der Arbeit war. Als wir an der Intensivstation ankamen, rollte sie mich zu einem Waschbecken, wo wir uns gemeinsam die Hände wuschen. Dann schob sie mich zum Brutkasten.
    In dem Kasten lag mein Baby. Mein Sohn sah ganz anders aus, als ich es mir vorgestellt hatte. Er war weder rosig noch dick, sondern winzig und unglaublich mager. Seine Gesichtsknochen zeichneten sich ab, und seine Augen waren geschlossen. Er war bleich, beinahe bläulich. Ein

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