Die leere Wiege: Roman (German Edition)
ausblieb, trank ich gieriger.
Ehe ich alles ausgetrunken hatte, zog sie den Becher fort. Ein paar Wassertropfen liefen mir übers Kinn.
»Nicht so viel auf einmal«, mahnte sie. »Das schafft Ihr Körper noch nicht. Sie haben eine schwere Operation hinter sich.«
In dem Moment durchzuckte es mich wie ein Blitz. Mein Baby. Ich packte ihre Hand so hastig, dass sie Wasser aus dem Becher verschüttete.
»Wo ist mein Baby?«
Sie griff nach einem Papiertaschentuch. Als sie sich über mich beugte, dachte ich, sie wollte mich umarmen, doch sie wischte mir nur über Kinn und Wange, steckte das Taschentuch in ihre Tasche und drückte mir ein frisches in die Hand. Als sie sich mit ihrer Antwort Zeit ließ, ahnte ich, dass etwas Schlimmes vorgefallen war und sie nicht wusste, wie sie mir die schlechte Nachricht beibringen sollte.
»Am Morgen kommt Ihre Ärztin zu Ihnen. Sie wird Ihnen alles erklären.« Nach weiterem Zögern setzte sie hinzu: »Ihr Baby ist auf der Intensivstation.«
»Warum? Wie geht es ihm?«
Sie biss sich auf die Lippe. »Das wird Ihnen die Ärztin sagen. Aber Ihr Sohn ist in den besten Händen.«
Mein Sohn. Ich hatte meinen Sohn zur Welt gebracht. »Warum liegt er auf der Intensivstation?«
»Bitte regen Sie sich nicht auf. Die Klinik hat die beste Ausstattung, die man sich denken kann.«
Ich schloss die Augen und fragte mich, was geschehen war, denn ich erinnerte mich nur noch an den jähen Schmerz und die Gewissheit, dass ich ins Krankenhaus gebracht werden musste.
»Als Sie eingeliefert wurden, hatten Ihre Wehen bereits eingesetzt. Ihrem Baby ging es nicht gut, denn Ihre Gebärmutter war gerissen. Wir haben das Kind daher per Kaiserschnitt entbunden. All das wird Ihnen die Ärztin noch genauer erklären. Ich weiß nur, dass Ihr Körper gelitten hat und es eine Weile gedauert hat, bis Sie wieder zu sich gekommen sind. Nach und nach werden Sie sich besser an alles erinnern, aber lassen Sie sich ruhig Zeit. Aus einer Vollnarkose erholt man sich nicht so schnell.«
»Warum ist mein Junge auf der Intensivstation? Was fehlt ihm?«
Sie legte ihre Hand auf meine, und ich spürte ihre raue Haut, als sie mir über den Handrücken strich. »Dass die Gebärmutter reißt, ist ungewöhnlich, vor allem bei einer ersten Geburt. Aber es kommt vor. Deshalb haben Ihre Wehen vorzeitig eingesetzt, was für sich genommen kein Problem ist, doch bei Ihnen war das Kind in Gefahr. Aber wir kümmern uns um Ihr Baby. Am besten, Sie ruhen sich noch ein wenig aus.«
Auf quietschenden Sohlen entfernte sie sich. Ich versuchte, an nichts zu denken.
Später weckte mich dieselbe Krankenschwester, indem sie sich über mich beugte. Ihr dunkles Haar hatte rosa gefärbte Spitzen. Der Raum wurde von hellem Morgenlicht durchflutet.
»Haben Sie Hunger?«
Sie sprach wie die Leute in Suffolk. Also kam sie hier aus der Gegend, was ich irgendwie tröstlich empfand. Ich schüttelte den Kopf. Nahrung war nicht das, was ich brauchte.
»Sie sollten aber etwas essen.« Sie kippte das restliche Wasser aus dem Becher zurück in die Karaffe und nahm sie an sich. »Ich hole Ihnen frisches Wasser. Bin gleich wieder da.«
Damit verschwand sie und ließ die Tür offen stehen. Ich lag in einem Einzelzimmer. Hinter der geöffneten Tür erkannte ich einen langen Flur. Ich hörte Stimmen und das Klappern eines Wagens, der über den Gang geschoben wurde.
Die Schwester kehrte zurück. »Sind Sie sicher, dass Sie nichts essen möchten? Oder sollen wir es nicht doch mal versuchen?« Sie hielt einen Teller mit gebutterten Toastscheiben in der Hand.
Ich schüttelte den Kopf, denn ich wusste, wenn ich etwas essen würde, müsste ich mich übergeben.
Sie nagte an ihrer Lippe und stellte den Teller auf dem Nachttisch ab. »Wahrscheinlich machen Sie sich große Sorgen, aber Ihr Baby ist wirklich in guten Händen.«
Tränen stiegen mir in die Augen, meine Sicht verschwamm. Der Schmerz in meinem Bauch verstärkte sich. Immer wieder denselben Satz zu hören war mir unerträglich. Ich fing an zu weinen. Nur am Rande nahm ich wahr, dass die Schwester mir einen Arm um die Schultern legte und mich an sich drückte, während sie ein ums andere Mal murmelte: »Alles wird gut.«
Trotz meiner Verzweiflung erkannte ich die Lüge.
Ich schlief ein, wurde wach, dämmerte wieder weg. Bald verlor ich jegliches Gefühl für die Zeit, aber der Wundschmerz hatte nachgelassen. Irgendwann hatte man mir aus einer kleinen Plastiktasse Tabletten verabreicht.
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