Die leere Wiege: Roman (German Edition)
nach Hause nehmen. Hat sich die Ärztin dazu schon geäußert?«
Ich schüttelte den Kopf und rührte konzentriert meinen Tee um. Dass wir wieder nach Hause gehen konnten, wagte ich mir gar nicht vorzustellen, denn das war ein zu großer Schritt. Allein der Gedanke daran machte mir Angst. Noch größere Angst hatte ich jedoch davor, dass du Emma wiedersehen könntest.
»Würden Sie mir vielleicht einen Gefallen tun?«
»Welchen denn?«
»Könnten Sie Jason anrufen und ihn bitten, mir ein bisschen Zeit zu lassen und für ein oder zwei Tage nicht zu kommen?«
»Das ist aber nicht ganz leicht für mich.«
»Ich brauche ein wenig Ruhe. Nur für ein paar Tage. Ich möchte nicht, dass er mich so bedrückt und müde sieht.«
Nurse Hall nagte an ihrer Lippe. »Na schön, wenn Sie das wirklich möchten, rufe ich ihn an.«
»Danke, das ist sehr lieb von Ihnen.«
»Am besten, ich mache es gleich.« Nurse Hall berührte mich am Arm. »Schauen Sie nur, Sie haben Besuch.«
In der Tür stand Emma in einem himmelblauen Wickelkleid und war wunderschön anzusehen. In ihrem Arm lag ihr schlafendes Baby.
»Hi, Emma«, sagte Nurse Hall freundlich. Es kränkte mich, dass sie Emma ebenso nett wie mich behandelte. »Wie geht es Ihnen? Und wie geht’s dem kleinen Luke?«
Mit seligem Blick betrachtete die junge Mutter ihren Sohn. Um ihn nicht zu wecken, flüsterte sie: »Vielen Dank, uns geht es bestens. Und wissen Sie schon das Neueste? Heute Morgen werden wir entlassen.« Sie schaute Nurse Hall und mich an. »Ich bin schon ganz nervös. Ich glaube, die Verantwortung macht mir Angst. Am liebsten würde ich noch ein bisschen hierbleiben.«
Nurse Hall lächelte sie aufmunternd an. »Ein Baby mit nach Hause zu nehmen ist ja auch aufregend. Aber Sie schaffen das schon. Alle guten Mütter machen sich Sorgen um ihr Kind.« Sie zeigte auf mich. »Rose wird die Nächste sein, die uns verlässt.«
Ich hatte einen Trostpreis bekommen.
»Ganz sicher«, sagte Emma, aber als sie sich auf meine Bettkante setzte, schien ihr Glück sie verlegen zu machen. »Sollen wir Joel besuchen gehen?« Sie legte ihre warme Hand auf meine. Ich roch ihr Parfum, ein leichter Duft nach frischen Äpfeln.
Gemeinsam machten wir uns auf den Weg zur Intensivstation. In einem Arm hielt Emma ihr Baby, mit dem anderen zog sie mich mit sich. Offenbar wusste sie nicht, wie man das Köpfchen eines Säuglings richtig stützt, denn es schlenkerte hin und her. Ich ging langsam, denn mit jedem Schritt steigerte sich meine Angst, und ich fragte mich, ob ich diesen Weg womöglich zum letzten Mal zurücklegte. Ich hatte die grausame Vision, am Ziel ein leeres Bettchen vorzufinden.
Doch als wir ankamen, lag Joel wie immer in seinem Brutkasten. Für einen Moment durchzuckte mich Erleichterung, aber dann wurde mir klar, wie winzig mein Sohn noch immer war. Er war wach, und als ich mich über ihn beugte, richtete er seine blauen Augen auf mich.
»Erkennst du mich?«, flüsterte ich. »Oder siehst du nur einen dunklen Fleck?« Ich hielt ihm meinen Finger hin.
Er gab keinen Laut von sich, doch sein Mund öffnete sich, als wollte er sprechen. Der Schlauch war inzwischen entfernt, die Geräte waren fortgeräumt worden. Ich konnte Joel berühren und küsste ihn auf Wange und Nase. Er legte ein Händchen auf meinen Arm. Überwältigt küsste ich ihn noch einmal.
»Wie niedlich er ist«, ertönte hinter mir eine Stimme, und ich fuhr herum.
Die diensthabende Schwester stand hinter mir. Ich lächelte sie dankbar an. Doch dann erkannte ich, dass sie mit Emma gesprochen hatte und Luke ansah. Emmas Wangen glühten vor Stolz.
»Alle hier sind so nett zu mir«, sagte sie. »Schon deshalb fällt es mir schwer, zurück nach Hause zu gehen. Ich habe Angst, mit Luke allein zu sein. Können Sie das verstehen?«
»Das ist völlig normal.« Die Schwester wandte sich zu mir um. »Joel fängt an zu reagieren. Wenn Dr. Cross Visite machte, werde ich sie fragen, wann Sie den Jungen mit nach Hause nehmen können.«
»Wirklich?«
»Ja, er nimmt stetig zu und trinkt auch schon sehr schön aus dem Fläschchen. Wenn Sie möchten, können Sie sogar versuchen, ihn zu stillen. Ich glaube, inzwischen ist er kräftig genug.«
Mein Herz machte einen Satz.
Die Schwester hob Joel aus seinem Bettchen. Wie eine Puppe lag er in ihren Armen, friedlich und blass. »Na, junger Mann, möchtest du ein Schlückchen trinken. Sollen wir es heute mal ohne Fläschchen versuchen?«
Behutsam reichte sie mir ihn, und
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