Die leere Wiege: Roman (German Edition)
Im nächsten Moment stürzte sie zu der roten Alarmtaste an der Wand und schlug mit der Faust darauf.
»Bitte«, wimmerte ich. »Sagen Sie mir doch, was passiert ist.«
Sie rollte ein Gerät an Joels Bettchen, stieß mich fort und konzentrierte sich auf mein Baby. Ich wollte zu ihm und ihn schütteln, bis er wieder atmete. Dann hörte ich eilige Schritte, wurde zur Seite geschoben und sah nur noch den Rücken eines Arztes und den Rand des Bettchens. Luke fing an zu weinen, und ich trat zu ihm und nahm ihn hoch. Eine zweite Schwester sah mich, flüsterte dem Arzt etwas zu und führte mich aus dem Raum.
Von innen wurde die Tür geschlossen und vor der Glasscheibe eine Jalousie heruntergelassen. Unten blieb eine Lücke, durch die ich spähte und weiße Kittelstreifen erkannte, Hände und pumpende Arme, die versuchten, meinen Sohn zu retten. Unseren Sohn.
Ich hielt Emmas Baby in den Armen und schaute zu.
31.
Wie an jedem Sonntag ist die Atmosphäre im Gefängnis aufgeladen. Aber ich versuche ruhig zu bleiben, ganz gleich, was geschieht. Die zivilen Angestellten sind an den Wochenenden zu Hause, nur die Wärter und die Inhaftierten sind da. Und der Kaplan ist natürlich zugegen, für diejenigen, deren Droge der Glaube ist. Unterrichtsstunden gibt es heute nicht, keine Kurse, in denen wir lernen, wie man sich benimmt, und auch keine Seelenklempner, die uns analysieren. Wir sind so frei, wie man es im Gefängnis nur sein kann, was allerdings zu Langeweile führt und deshalb auch zu unwillkommenen Gedanken. Etlichen Insassen wird das zu viel, sodass es immer wieder zu Wutausbrüchen und Prügeleien kommt.
Sonntags dürfen wir ein paar Kleinigkeiten kaufen, weshalb wir unsere mageren Löhne zusammenkratzen oder das Geld, das uns Angehörige oder Freunde geschickt haben. Das Angebot ist dürftig, doch das bisschen, was es gibt, ist für uns kostbar. Wir können die Sachen für Tauschgeschäfte nutzen oder sie uns sorgsam einteilen und versuchen, bis zum nächsten Sonntag damit auszukommen. Mich erinnert das immer an die Schule früher, als wir uns vor dem Kiosk gegenüber drängten und darauf brannten, Süßigkeiten zu essen oder, später, als wir älter waren, uns Zigaretten zu besorgen. Sogar billiges Shampoo und einfache Schönheitsprodukte können wir hier erstehen, doch die meisten Frauen beschweren sich über die geringe Auswahl. Sie möchten sich hübsch machen, wenn auch nur für einen Tag, denn sonntagnachmittags ist Besuchszeit.
Gefangene wie ich dürfen nur einmal in vierzehn Tagen Besuch bekommen, deshalb sind die Frauen, die niemanden erwarten, an den Sonntagen besonders gereizt. Sie denken an ihren Ehemann oder Freund, den sie nicht sehen werden, an den Sohn oder die Tochter, die sie nicht umarmen können. An den Sonntagen, an denen sie mit ihren Angehörigen rechnen, sind sie dagegen angespannt, erst recht wenn sie einen von ihnen seit Längerem nicht gesehen haben. Es ist ja auch schlimm, auf ein Gesicht zu warten, nach dem man sich gesehnt hat, auf das eigene Kind, das größer und älter geworden ist, und dann das lähmende Schweigen, wenn man ihnen schließlich gegenübersitzt und nicht weiß, was man sagen soll, da die Gefängniswelt nur aus Grau besteht. Und erst der Schmerz und die Einsamkeit und Furcht, die einen befallen, wenn der Befehl zum Abschiednehmen kommt. Die Tränen der Kinder sind am schlimmsten, insbesondere wenn sie noch zu klein sind, um die Trennung zu begreifen.
Hinterher kehren wir in unsere Zellen zurück. Die Neuen weinen dann meist in ihre dünnen Kopfkissen, ebenso wie die Frauen, die von Familienfesten gehört haben, bei denen sie nicht dabei sein konnten, die erfahren haben, dass ihr Mann oder Freund sie betrügt oder dass ihr Kind seinen ersten Zahn bekommen hat.
Doch all das gilt nur für die anderen Frauen, nicht für mich. Für mich ist jeder Tag ein weiterer Schritt in Richtung Freiheit. In zwei Wochen wird die Bewährungskommission tagen, weshalb ich die Stunden hier drin wie ein Kind zähle, das auf Weihnachten wartet. Sie müssen mich einfach freilassen. Ich war eine gute Gefangene und habe stets sorgfältig und zuverlässig gearbeitet. So etwas wissen die Wärter zu schätzen. Ich bedrohe niemanden und prügele mich nicht. Ich gebe den Frauen Zigaretten, wenn sie keine mehr haben, und verlange später nicht, dass sie mir für eine geborgte Zigarette zwei zurückzahlen.
Die Schicht wechselt. Officer Callahan zieht sich zurück, Officer Burgess
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