Die leere Wiege: Roman (German Edition)
getrennt von den anderen in einem Einzelzimmer. Ausgegrenzt. Denn die anderen Frauen wollten nicht in meiner Nähe sein. Mein Unglück könnte sie ja anstecken. Aber ich war froh, allein zu sein.
Von meinem Bett aus konnte ich durch das Fenster nur den Himmel erkennen. Ich lag in einem der oberen Stockwerke und erinnerte mich an den Anblick dieses kastenartigen Gebäudes von unten. Ich hatte es gesehen, als ich Joel noch in mir trug, als er noch in Sicherheit war.
Die Intensivstation befand sich auf demselben Stock wie die Säuglings- und Entbindungsstation. Ich dachte an Joels winziges kämpfendes Herz und spürte, wie der Gedanke sich auch auf mein Herz übertrug, denn es begann schneller zu schlagen, und im Geist hatte ich die dünnen Ventile vor Augen, die Leben in Joels Körper pumpten.
Als sich die Tür öffnete, zuckte ich zusammen, doch es war nur die Schwester, die kam, um das Tablett zu holen. Ich nahm sie kaum wahr, sah nur die weiße Kleidung aus dem Augenwinkel, doch dann hörte ich ihre Stimme. Es war Nurse Hall, die in der ersten schrecklichen Nacht so freundlich zu mir gewesen war.
»Oh, Sie haben ja alles aufgegessen. Das nenne ich eine Leistung. Geht es Ihnen besser? Sie haben wieder mehr Farbe im Gesicht.«
Ich nickte und wagte ein Lächeln. Schließlich lebte Joel noch.
»Was meinen Sie? Ob Sie sich schon allein anziehen können? Ich glaube, den Rollstuhl brauchen wir jetzt nicht mehr.«
—
Ich schlurfte über den Flur in Richtung Intensivstation. Auf dem Weg erkannte ich durch die geöffneten Türen Besucher, die auf den Kanten von Krankenbetten hockten, und Hilfskräfte, die von Zimmer zu Zimmer gingen und Tee ausschenkten. Menschen überholten mich, mit Blumensträußen und pastellfarbenen Pralinenschachteln in den Händen. Ich erreichte das Ende des Flurs und folgte dem Schild zur Säuglingsstation. Darauf war ein Klapperstorch abgebildet, dessen Schnabel mir die Richtung wies.
Die einzelnen Stationen waren alle nach Flüssen in Suffolk benannt worden und gingen von einem Hauptflur ab. Auf der Säuglingsstation lagen die gesunden Babys. Ich kam an zwei Krankenschwestern vorüber, die in eine geflüsterte Unterhaltung vertieft waren. Wenig später sah ich das Einzelzimmer, aus dem die Frau getreten war, die du mit dem Rollstuhl beinahe angefahren hättest. Ich dachte, das Zimmer sei leer, doch hinter der offenen Tür saß eine andere Frau auf dem Bett und redete zärtlich auf das Baby in ihren Armen ein.
Ich verharrte, denn mir war, als hätte ich diese Frau irgendwo schon einmal gesehen.
Wie ich trug sie einen Krankenhauskittel und Pantoffeln. Wir sahen aus wie die Insassen einer psychiatrischen Klinik. Sie schaute auf und lächelte. Das Baby in ihren Armen trug ein blaues Mützchen, unter dem ein paar zarte blonde Löckchen hervorquollen. Ich dachte daran, wie leicht einem das Lächeln fallen muss, wenn man ein gesundes Baby hat. Die Schönheit dieser Frau zog mich an.
»Ist es ein Junge?«, fragte ich.
Sie nickte und lupfte die Decke über ihrem Kind. Es war größer als Joel und sah entzückend aus. Als es anfing zu weinen, gurrte sie und griff nach dem Fläschchen auf ihrem Nachttisch. Ganz versunken betrachtete sie ihr Baby.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte ich und schleppte mich weiter. Gleich darauf begegnete ich einem Mann, der in Richtung des Zimmers lief. Er war älter, mit schneeweißem Haar, elegant gekleidet und hielt einen riesigen Strauß gelber Rosen in der Hand. Er streifte mich, sodass ich taumelte, doch er marschierte einfach weiter in das Zimmer, legte die Rosen ab und schloss die Frau und das Baby besitzergreifend in die Arme.
29.
Auf der Intensivstation standen sechs durchsichtige Brutkästen an der Wand. Vier von ihnen waren leer.
Ich ging an der diensthabenden Krankenschwester vorbei zu Joels Bettchen. Bleich und still lag er da. Besorgt wandte ich mich zu der Schwester um, doch sie war in ihren Papierkram vertieft und schaute nicht auf. Ich wollte, dass sie mit mir redete, wollte sie fragen, ob es Fortschritte gab, aber ich wagte es nicht, sie zu stören.
Schließlich kam Dr. Cross, die ihre Visite gerade begonnen hatte, auf mich zu. »Hallo, Miss Wilks. Wie fühlen Sie sich?«
»Gut.« Aber ich war nicht die Patientin. »Wie geht es meinem Jungen?«
Sie nahm das Klemmbrett, das an dem Brutkasten hing, und warf einen Blick auf die Daten. »Wie erwartet. Die bläuliche Hautfarbe deutet auf die Möglichkeit einer Herzschwäche
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