Die leere Wiege: Roman (German Edition)
Aufruhr. Einen Nachhall dieser Gefühle schien sie in meinen Augen zu erkennen.
»Ach, Rose«, murmelte sie und küsste mich auf die Wange. Ich roch Pfefferminz in ihrem Atem. »Ich würde alles tun, um deinen Schmerz zu lindern.«
Dafür hatte bereits der Schlüssel zu ihrem Haus gesorgt, aber das konnte sie ja nicht wissen.
»Luke zu sehen, tröstet mich ein wenig. Vielleicht könnte ich ja ab und zu seine Babysitterin sein.«
Für zehn Minuten standen wir stumm an Joels Grab. Es fühlte sich länger an, denn Emma wusste nicht, was sie sagen sollte. Schließlich wandte sie sich zu Luke um, rückte seine Mütze zurecht und steckte ihm einen Schnuller in den Mund. Ich trat an den weißen Grabstein, kniete mich nieder und fuhr mit dem Finger über die Inschrift.
Joel Clark.
Den Engelflügel tragen.
»Clark«, sagte Emma versonnen. »So habe ich früher auch einmal geheißen.«
»So heißen viele«, entgegnete ich.
Ich hatte gewollt, dass Joel deinen Nachnamen erhielt. Er sollte uns verbinden.
»Die Inschrift ist wunderschön, Rose. ›Den Engelflügel tragen.‹«
»Er ist jetzt bei meiner Mutter und meiner Tante Rita. Bei ihnen wird er geborgen sein.«
Ich wusste nicht, ob ich den Ort, an dem Joel sich befand, Himmel nennen sollte, aber mit Sicherheit schwebte mein Sohn irgendwo über mir, denn manchmal konnte ich ihn spüren, insbesondere am späten Abend, wenn ich allein war.
Ich küsste seinen Namen auf dem Stein, den die Sonne gewärmt hatte. In meinem Rücken begann Emma zu schluchzen und störte meine friedliche Meditation.
Als ich aufstand, kramte sie in Lukes Buggy und wühlte unter dem Windelpaket ein frisches Päckchen Papiertaschentücher hervor.
Luke hatte sich in seine Decke gekuschelt und schlief mit rosigen Wangen. Dieses Kind hatte Emma nicht verdient.
43.
Dominic Hatcher beobachtete, wie seine Frau die Bewährungshelferin wie in Trance ins Wohnzimmer führte und ihr mit schleppender Stimme einen Kaffee anbot, den sie dann natürlich vergessen würde zu holen.
Da er wusste, dass seine Frau nicht imstande war, auch nur diese einfache Aufgabe zu verrichten, hatte er den Kaffee bereits aufgesetzt und in der Küche drei Becher bereitgestellt. Er wartete, bis die Besucherin sagte: »Ja gern, schwarz, bitte, und ohne Zucker«, und verschwand in die Küche.
Dort füllte er die Becher und zwang sich zur Ruhe, denn seit Jahren war sein Leid von grenzenloser Wut durchsetzt, die er fortwährend im Zaum halten musste. Zum einen richtete seine Wut sich gegen Rose, die es geschafft hatte, nicht wegen Mordes verurteilt zu werden, zum anderen galt sie Emma. Schließlich war es ihre Schuld, denn sie hatte diese Frau in ihr Haus eingeladen, nicht erfasst, was für eine Person das war, und nie begriffen, dass in ihrer vermeintlichen Freundin ein Monster steckte.
Seine Ehe war zu einer kalten, geschäftsmäßigen Angelegenheit geworden, bar jeder Leidenschaft. Auch Streitereien gab es nicht mehr, selbst dazu fehlte Emma die Kraft. Er wiederum hatte Angst, seinen Gefühlen nachzugeben, denn dann würde daraus ein Vulkan, dessen Ausbruch ihre Ehe höchstwahrscheinlich nicht überlebte.
Er stellte die Becher auf ein Tablett und trug es ins Wohnzimmer, wo bereits peinliches Schweigen herrschte. Cate Austins Stift schwebte über ihrem Block, und sie sah Emma an, als warte sie auf eine Antwort, die nicht kam. Die nie kommen würde, das hätte Dominic ihr jetzt schon sagen können. Emma hockte auf der Sofakante und starrte ins Leere. Ich sollte ihr eine reinhauen, dachte er, vielleicht würde sie wenigstens dann einmal reagieren.
Einen Becher stellte er vor Cate Austin ab, die so jung aussah, als hätte sie gerade erst ihr Studium abgeschlossen. Aber zumindest wirkte sie ernst und betrachtete Emma mit gerunzelter Stirn. Dann legte sie den Stift ab, umschloss den Becher mit beiden Händen und sagte, sie dürften sie ruhig mit Cate anreden. Anschließend erklärte sie ihnen noch einmal den Grund ihres Besuchs. Dominic setzte sich ihr gegenüber und hörte Wörter wie »Bewährungsgutachten«, »unparteiisch« und »Ihre Meinung« – sinnloses Geschwätz, das kaum zu ihm durchdrang, denn ihn interessierte ohnehin nur eine einzige Auskunft.
»Wann wird diese Frau freigelassen?«
Cate trank einen Schluck Kaffee. »Das entscheidet die Bewährungskommission, die in einer Woche tagt.«
Dominic verschlug es den Atem. »Und wenn gegen sie entschieden wird?«
Cate spitzte die Lippen und sah ihn an.
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