Die leere Wiege: Roman (German Edition)
mehr Wert auf mein Äußeres legte, und dachtest, ich wäre wieder wie früher. Dann und wann fragtest du, wie ich den Tag verbracht und ob ich mich mit jemandem getroffen hätte. Ich erzählte dir, dass ich mich mit einer Frau angefreundet hätte, die ich im Krankenhaus kennengelernt hatte. Mehr verriet ich nicht, ebenso wenig erwähnte ich ihren Namen.
Eines Abends zog ich das rote Seidenmieder an. Es war mir über der Brust zu eng und schnitt in die Haut im Rücken, aber die Seide fühlte sich glatt und sinnlich an und roch nach frischen Blüten. Ich fühlte mich gut, schloss die Augen und stellte mir vor, ich wäre hübsch und dass du mich liebtest.
Ich wollte mehr über Emma erfahren, diese Frau, die du geheiratet und mit der du mich betrogen hattest. Die Frau, deren Sohn noch lebte, wohingegen meiner gestorben war. Ich fragte mich, wie mein Leben aussehen würde, hätte sie dich damals nicht verlassen. Ob ihr wohl noch immer zusammen wärt, als glückliche Familie mit wunderschönen Kindern? Mit Sicherheit wäre ich weiterhin allein und ungeliebt. Dieser Gedanke verfolgte mich, denn ich wollte ja nur das, was für so viele andere selbstverständlich war: eine Familie.
Emma hatte alles, was ich nicht hatte, und dennoch schien es ihr kaum etwas zu bedeuten. Ständig klagte sie über Müdigkeit, aber zugleich ging sie zu einem Arzt, um sich Schlaftabletten verschreiben zu lassen. Ich konnte nicht fassen, dass sie diese Tabletten nahm, denn dann konnte sie ja nicht hören, ob Luke nachts aufwachte und weinte. Mitunter gingen ihr die Windeln oder die Milch aus, und sie rannte zum nächsten Supermarkt, um das Fehlende zu besorgen. Auch dass sie Luke fertige Babynahrung verabreichte, begriff ich nicht. Wäre er mein Kind, würde ich immer das frischeste Gemüse kaufen und es für ihn kochen und pürieren.
Dominic warf einen Schatten auf unsere Freundschaft.
Er war einer der Menschen, über die andere sagen, dass sie Autorität besitzen. Er war deutlich älter als Emma, aber ich hatte den Eindruck, dass es ihm schon in jungen Jahren gelungen war, von anderen respektiert zu werden. Anfangs dachte ich, er wäre groß gewachsen, aber später erkannte ich, dass er sich lediglich sehr aufrecht hielt und etwas Militärisches hatte. Sein Haar war weiß und voll, der Schnitt kurz und konservativ. Seine Augen waren blau, mit stechendem Blick. Die Schüler des Internats lehrte er wahrscheinlich das Fürchten. Trotzdem sah er nicht schlecht aus, und wenn er sprach, wurde mir klar, weshalb Emma dich für ihn verlassen hatte. Das hätte ich zwar nie getan, aber ich erkannte seine Anziehungskraft, vor allem auf labile Frauen wie Emma. Seine Ansichten waren für ihn Tatsachen, Dominics Selbstsicherheit war grenzenlos. Ich hielt ihn für arrogant, aber schwache Menschen bewundern so etwas ja und halten es für Stärke.
Wenn er bei meinen Besuchen zu Hause war, beobachtete er mich, während ich Luke hielt, obwohl ich beinahe jeden Tag bei ihnen war und das Kind mich immer anlächelte. Aber Dominic blieb misstrauisch, das verrieten mir seine verstohlenen Blicke und die unfreundlichen Bemerkungen. Ich war mir sicher, dass er meine Besuche lästig fand, deshalb zwang ich mich hier und da, auch mal ein, zwei Tage wegzubleiben, so qualvoll das für mich auch war. Wenn ich dachte, dass er zu Hause sein könnte, besuchte ich Emma nicht, doch das war nicht immer vorherzusehen, denn Dominic ging und kam, wie es ihm passte.
Manchmal schien er mich nachdenklich zu studieren, als wäre ich ein Puzzle, das er nicht richtig zusammensetzen konnte, ein Kreuzworträtsel, zu dessen Lösung ihm einige Wörter fehlten. Dass wir uns ähnlich waren, erfasste er nie. Ich mochte ihn zwar nicht, aber seine Eifersucht konnte ich gut nachvollziehen. Ich machte es mir zur Regel, mich zu verabschieden, sobald er erschien, und erst wiederzukommen, wenn ich wusste, dass die Luft rein war.
Doch dann entdeckte ich die Lösung des Problems.
Es war ein Weg, Luke zu lieben und Emma im Auge zu behalten, ohne dass Dominic mir dazwischenkam.
Ich war so oft in Emmas Haus gewesen, dass ich wusste, der Schlüssel für die Hintertür hing gleich daneben an einem kleinen Haken. Wenn ich ihn wegnähme und rasch wieder zurückhängte, würde ihn keiner vermissen.
Mir den Schlüssel zu schnappen und ihn in meine Jeanstasche zu stecken, war ein Kinderspiel. Danach war ich zum ersten Mal ganz erpicht darauf, das Haus zu verlassen. Ich fuhr zu dem Supermarkt, in dem ich
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