Die Legende
Gedanken versunken. Er hatte in seinem Leben schon viele Freunde verloren, aber keiner war ihm näher gewesen als Seben und Rowena – der eine sein Schwertbruder, die andere seine Frau. Die Erinnerungen an sie waren noch immer empfindlich wie offene Wunden. Wenn ich sterbe, dachte er, werden alle um Druss die Legende trauern.
Aber wer wird um mich trauern?
13
»Sag uns, was du gesehen hast«, bat Rek, als er sich zu den Anführern der Dreißig in Serbitars Kabine gesellte.
Menahem hatte ihn aus tiefstem Schlaf geweckt und ihm rasch die Probleme auseinandergesetzt, denen sich die Dros jetzt gegenübersah. Aufmerksam hörte Serbitar zu, als der blonde Krieger-Priester die Bedrohung umriß.
»Der Meister der Axt trainiert die Männer. Er hat alle Gebäude bis Mauer Drei abreißen und auf diese Weise wieder Schlachtfelder schaffen lassen. Er hat auch die Tunnel bis zu Mauer Vier blockiert – er hat gute Arbeit geleistet.«
»Du hast Verräter erwähnt«, warf Rek ein.
Serbitar hob die Hand. »Geduld!« bat er. »Fahr fort, Arbedark.«
»Es gibt einen Mann namens Musar, der ursprünglich vom Stamm der Wolfsschädel stammt. Er lebt seit elf Jahren in Dros Delnoch. Er und ein Drenai-Offizier haben vor, Druss zu töten. Es können auch noch mehr sein. Ulric hat von der Blockade der Tunnel erfahren.«
»Wie?« fragte Rek. »Es gibt doch bestimmt keinen Reiseverkehr nach Norden?«
»Er hält Tauben«, erklärte Arbedark.
»Was könnt ihr tun?« wollte Rek von Serbitar wissen, der nur die Achseln zuckte und sich hilfesuchend an Vintar wandte. Der Abt breitete die Hände aus. »Wir haben versucht, Kontakt zu Druss aufzunehmen, aber er ist nicht empfänglich, und die Entfernung ist immer noch sehr groß. Ich sehe nicht, wie wir helfen können.«
»Was gibt es Neues von meinem Vater?« fragte Virae. Die Männer sahen einander unbehaglich an. Schließlich ergriff Serbitar das Wort.
»Er ist tot. Es tut uns sehr leid.«
Virae sagte nichts; ihr Gesicht spiegelte kein Gefühl wider. Rek legte ihr einen Arm um die Schulter, aber sie schob ihn weg und stand auf. »Ich gehe an Deck«, sagte sie leise. »Bis später, Rek.«
»Soll ich mit dir kommen?«
»Nein. Ich muß allein sein.«
Als sich die Tür hinter ihr schloß, sprach Vintar. Seine Stimme klang sanft und traurig. »Auf seine Art war er ein guter Mann. Ich habe vor dem Ende noch Kontakt zu ihm aufgenommen. Er war in Frieden mit sich und befand sich in der Vergangenheit.«
»In der Vergangenheit?« fragte Rek. »Was bedeutet das?«
»Sein Geist ist in glücklichere Zeiten zurückgeflohen. Er ist friedlich gestorben. Ich denke, die QUELLE wird ihn annehmen – ich werde dafür beten. Aber was ist mit Druss?«
»Ich habe versucht, den General Hogun zu erreichen«, sagte Arbedark, »aber es lag große Gefahr darin. Ich habe fast den Kontakt verloren. Die Entfernung …«
»Ja«, sagte Serbitar. »Hast du herausgefunden, wie der Anschlag verübt werden soll?«
»Nein. Ich konnte nicht in den Geist des Mannes eindringen. Aber vor ihm stand eine Flasche lentrischen Rotweins, die er neu versiegelte. Es könnte ein Gift sein, ein Opiat oder so etwas.«
»Ihr müßt doch irgend etwas tun können!« sagte Rek. »Mit all eurer Macht.«
»Jede Macht – außer einer – hat ihre Grenzen«, erklärte Vintar. »Wir können nur beten. Druss ist seit vielen Jahren Krieger, und er hat überlebt. Das heißt, er ist nicht nur fähig, er hat auch Glück. Menahem, du mußt zur Dros reisen und für uns Ausschau halten. Vielleicht findet der Anschlag erst statt, wenn wir näher sind.«
»Du hast einen Drenai-Offizier erwähnt«, wandte sich Rek an Arbedark. »Wer? Warum?«
»Das weiß ich nicht. Als ich die Reise beendete, verließ er gerade Musars Haus. Er bewegte sich verstohlen, und das erregte meine Aufmerksamkeit. Musar war auf dem Dachboden, und auf dem Tisch neben ihm lag eine Notiz in der Sprache der Nadir. Sie lautete: ›Töte Todeswanderer‹. Das ist der Name, unter dem Druss bei den Stämmen bekannt ist.«
»Du hattest Glück, daß du den Offizier gesehen hast«, meinte Rek. »In einer Festungsstadt dieser Größe müssen die Chancen, einen Akt des Verrats zu sehen, sehr gering sein.«
»Ja«, gab Arbedark zu. Rek bemerkte den Blick, den der blonde Priester und der Albino einander zuwarfen.
»Oder steckt mehr dahinter als Glück?« fragte er.
»Vielleicht«, antwortete Serbitar. »Wir sprechen später darüber. Für den Augenblick sind wir hilflos. Menahem
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