Die Legende der Alten: Teil 1: Erwachen (German Edition)
Pelli.
Lady Lebell saß zusammengesunken auf ihrem Stuhl im kleinen Salon, als Pelli das Tablett mit dem Abendessen vor ihr abstellte.
„Glaubt Ihr, ich bin eine gute Mutter, Pelli?“, fragte Lebell.
„Warum fragt Ihr das?“, entgegnete Pelli.
„Nomo ist vor mir davon gelaufen. Wenn Kirai sie nicht zum zweiten Mal gefunden hätte … Ich kann sie nicht mehr beschützen, Pelli, ich habe versagt“, antwortete Lebell.
„Alle die auf Nomo aufpassen, haben versagt. Wir haben Nomo in ein Korsett gezwängt, das ihr nicht passt. Sie wird erwachsen, vielleicht ist es an der Zeit loszulassen. Houst hat einmal gesagt, wir können sie nur auf das Leben vor …“
„Erwähnt nicht diesen Namen. Er sitzt nicht umsonst vor dem Tribunal“, unterbrach Lebell Pelli.
„Ihr glaubt nicht wirklich, dass er Nomo entführt hat?“, fragte Pelli.
„Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Schon gar nicht, wenn es um Houst geht“, sagte Lebell.
„Houst hat Nomo … Euch und Nomo immer beschützt, wisst Ihr das nicht? Nachdem der König eurer überdrüssig wurde, war es Houst, der sich um Euch und Nomo gekümmert hat. Er hat Euch dieses Haus gekauft, dafür gesorgt, dass Ihr als Beseelte am Hof anerkannt wurdet und nicht in den Waschküchen geendet seid. Die Hälfte Eures Personals wurde von Houst persönlich ausgesucht. Wir mussten ihm schwören, mit unserem Leben für das Eure einzustehen. Dem König wart Ihr und das schreiende Baby egal, ein Mädchen taugte nicht als Thronfolger. Aber Houst hat Nomo protegiert, sie dem König so lange auf den Schoß gesetzt, bis dieser gar nicht anders konnte, als sich in seine Tochter zu verlieben. Sehr zum Leidwesen von Königin Isi. Plötzlich wollte der König Euch und Nomo nicht mehr aus dem Palastviertel jagen, so wie sie es verlangte. Isi schickte daraufhin einen gedungenen Mörder. Mein Mann – der Hauptmann Eurer Wachen – hinkt, weil er den Meuchelmörder überraschte, der ihm ein Messer in die Hüfte stach. Wir haben damals die Geschichte mit der Kneipenschlägerei erfunden, wollten Euch nicht beunruhigen. Ich weiß nicht, was zwischen Euch und Houst vorgefallen ist, er spricht darüber genauso wenig, wie Ihr. Aber soweit es in seiner Macht steht, würde er es nie zulassen, dass Euch oder Nomo etwas zustößt“, sagte Pelli.
Lebell schwieg und starrte vor sich ins Leere. Nach einiger Zeit machte Pelli einen Knicks und ging zur Tür.
„Du, die Wachen und wer weiß noch alles, ihr alle arbeitet also für Houst?“, fragte Lebell leise.
Pelli drehte sich im Türrahmen um.
„Nein, wir arbeiten für Euch!“, sagte sie, „Warum hasst Ihr ihn so sehr?“
Lebell ignorierte Pellis Frage.
„Wenn Houst Nomo nicht entführt hat, wer dann?“, fragte sie stattdessen.
„Ich weiß nicht … Kurz vor der Entführung hat aber der Kammerdiener des Königs hier im Haus herumgeschnüffelt und allerlei Fragen über Nomos Gewohnheiten gestellt. Wir haben uns nichts dabei gedacht, vielleicht suchte der König nur nach einem besonderen Geschenk für den nächsten Geburtstag seiner Tochter. Vielleicht hatte es aber auch einen anderen Grund“, merkte Pelli an.
„Danke Pelli. Es gibt viele Dinge, über die ich jetzt nachdenken muss“, antwortete Lebell.
Pelli schloss die Tür und ließ Lady Lebell allein.
***
Kirai platzte ohne anzuklopfen in die kleine Kammer, die Hem sein Zuhause nannte. Die Einrichtung beschränkte sich auf das Notwendigste. Ein einzelner Stuhl, auf dem Hem saß, davor ein schäbiger Tisch, über dem Tisch an der Wand befand sich ein Regal mit einigen wenigen Büchern. An der anderen Seite des Raumes standen noch ein Bett und ein einfacher Holzschrank. Der Einrichtung fehlte jegliche persönliche Note, die Kammer erinnerte eher an ein billiges Gastzimmer.
„Ich hatte Euch früher erwartet. Entschuldigt, dass ich Euch keinen Platz anbiete. Den Stuhl, auf dem ich sitze, kann ich leider nicht entbehren. Die Gicht plagt mich zurzeit wieder sehr“, begrüßte Hem Kirai.
„Es tut mir leid, wenn ich mich nicht an Euren Zeitplan halte. Wie Euch sicher nicht entgangen ist, bin ich mit einem Tribunal beschäftigt. Und Ihr werdet mir helfen, es zu gewinnen!“, entgegnete Kirai.
„Alles, was in meiner Macht steht“, versprach Hem.
Kirai konnte aus der steinernen Mine des obersten königlichen Spions nicht erkennen, ob er seine Worte ernst meinte. Gespräche mit Hem ergaben selten einen größeren Erkenntnisgewinn, mehr als ein paar vage Andeutungen konnte man ihm
Weitere Kostenlose Bücher